: Verlorener Sohn in Breitwand
■ Sommertheater: Der amerikanische „Post-Beat-Multimedia-Schamane“Ira Cohen über Poesie, das Leben und die Dringlichkeit der namenlosen Suche
„Silence“steht auf dem T-Shirt des weißbärtigen Mannes und darunter sein Name, aber das kann, wie sich bald herausstellen soll, bestenfalls auf materialgewordene Dialektik verweisen. Stille ist für Ira Cohen ein Fremdwort, Schweigen aus der Welt des Dichters ausgeschlossen. Ob es ihn ärgere, daß in den vergangenen Wochen in allen Zeitungen stand, mit Allen Ginsburg und William Burroughs seien die letzten Vertreter der beat generation gestorben, sollte eigentlich die erste Frage an den 62jährigen New Yorker lauten – offensichtlich sind er und eine ganze Reihe anderer Beatniks doch noch ganz lebendig. Aber wer in einem Interview mit Ira Cohen selbst eine Frage stellen will, muß verdammt schnell sein.
„Das sogenannte Revival der beat generation ist ein komplett langweiliges Thema. Das Lied höre ich seit Jahren und ich glaube, es ist ein Witz, ein kommerzieller Witz. Ich möchte für meine Arbeit Anerkennung, nicht dafür, daß ich jemanden kannte und viele der beat poets veröffentlicht habe. Außerdem sehe ich mich gar nicht als beat, sondern eher als Post-beat-multimedia-Schamane. Im übrigen war nicht einmal Borroughs, der Pate des beat, selbst ein beat writer.“
Unzweifelbar beat ist jedoch Cohens Lebensweg. 1961 erzählten ihm Freunde, daß man für 90 Dollars einen Frachter von New York nach Tanger nehmen könne. Cohen fuhr mit und blieb vier Jahre, lernte Paul Bowles kennen, gab das erste beat-Magazin in Marokko heraus und produzierte Jilala, Aufnahmen von Trance-Musik einer Derwish-Sekte. Zurück in der Lower East Side entwickelte er Mitte der 60ziger die „Mylar Images“, eine Farbfototechnik, die Personen in Verzerrspiegeln auf eine solch abgefahrene Weise abbildet, daß auch nüchternen Betrachtern eine Ahnung von LSD-Trips vermittelt wird. 1968 produzierte er Paradise Now, einen Film über das Living Theatre, dann gings nach Indien, San Francisco, Japan und schließlich zurück nach New York, wo er bis heute lebt und arbeitet.
Sein ganzes Leben könne er unmöglich erzählen, sagt Cohen, das sei ein vierbändiges Werk oder besser ein Cinemascope Film. Im wesentlichen habe er einfach getan, was er wollte. „Ein Leben ohne Reisen kann ich mir nicht vorstellen. Zumindest auf innere Reisen muß der Mensch gehen.“Entscheidend auf seinen Pilgerfahrten sei nicht das Ziel, sondern die Dringlichkeit der Suche. Und auch wenn er stets zurückkäme: er bleibe der verlorene Sohn.
Poet zu sein ist der schlechtbezahlteste Job der Welt und man kommt auch immer nur in den hinteren Teil der Hochglanzmagazine. Aber, sagt der Mann und sein Bart leuchtet würdevoll: „Poetry is king.“Und Leben und Poesie zu trennen, Unsinn. „Poesie ohne Leben ist so geschmacklos wie Essen ohne Salz. Und Leben ohne Poesie sogar noch langweiliger.“Nur sein Motto ist seit 40 Jahren unverändert: „Be Here Now.“
Christiane Kühl
Lesung: Sa, 31. August, 24 Uhr, Kampnagel, Foyer 1. Cohen ist auch beteiligt an der Tanzperformance „Crossing the Boder“: Do bis Sa, 21.30 Uhr, k2
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