"Karateschlag"

■ Das Künstlerduo Jodi ist wütend, weil Technologie immer wichtiger wird. Ihre Wut gegen High-Tech toben sie im Internet aus

Wer unvorbereitet auf die Homepage von Jodi kommt, denkt wahrscheinlich, daß der Computer kaputt ist: Sinnlose Symbole schlängeln sich über den Monitor, Bilder und Hintergründe flackern, und jeder Mausklick läßt einen tiefer in das Chaos eintauchen.

Jodi sind der Belgier Dirk Paesmans und die Holländerin Joan Heemskerk, ihr Pseudonym ist die Kombination der ersten Silben ihrer Vornamen. Paesmans, der unter anderem an der Kunstakademie in Düsseldorf bei Nam June Paik studiert hat, hat mit Video gearbeitet, Heemskerk mit Fotografie, bevor sie 1994 im kalifornischen San Jose, dem Heimatort von Apple und Netscape, das Internet entdeckten.

Dort lernten sie im Computerstudio der Universität die ersten HTML-Befehle. Ihre ersten Netzarbeiten legten sie auf dem Server des „Internet Underground Music Archive“, inzwischen haben sie ihre eigene Netzadresse: www.jodi.org . Jodi gehören zu den acht Netzkünstlern, die auf der documenta X vertreten sind.

taz: Eure Seite sieht aus wie der Alptraum eines Programmierers. Sie strotzt nur so von Fehlern, sie ist chaotisch aufgebaut, und sie bedient sich einiger der bekannten „Bugs“ der Internet-Browser. Habt ihr nicht Angst, daß eure Arbeit irgendwann verschwinden wird, weil es einen technologischen Paradigmenwechsel gibt? Daß man sie sich zum Beispiel nicht mehr ansehen kann, weil sich über Nacht die Browser verändern?

Dirk Paesmans: Angst ist keine gute Voraussetzung für künstlerische Arbeit. Wir haben keine Angst. Wir machen diese Sachen, weil wir wütend sind. Die Leute am anderen Ende, am empfangenden Computer, spüren diese Wut.

Warum seid ihr wütend?

Paesmans: Wegen der Bedeutung von Technologie zum Beispiel. Es ist offensichtlich, daß unsere Arbeit sich gegen High-Tech richtet. Wir erforschen den Computer von innen und reflektieren das im Netz. Wenn sich jemand unsere Arbeit ansieht, sind wir in seinem Computer. Es gibt diesen alten Hackerslogan: „We love your computer.“ Wir betreten ebenfalls die Computer anderer Leute. Und wir fühlen uns geehrt, wenn wir in dem Computer von anderen sein dürfen. Man ist jemandem nahe, wenn man auf seinem Desktop ist.

Es gibt dieses Gerücht, daß es auf eurer Homepage Programme gibt, die den Browser abstürzen lassen. Stimmt das?

Joan Heemskerk: Nein. Das ist keine Herausforderung für uns. Man kann den Computer mit einer einzigen Zeile Code ausschalten. Aber das ist nicht interessant.

Mein Eindruck ist, daß viele Leute sich kurz eure Seite ansehen, und dann weitersurfen, ohne sich auf die vielen interessanten Details einzulassen. Stört euch das?

Paesmans: Nein. Medienkunst ist immer an der Oberfläche. Man muß die Leute so schnell wie möglich erwischen. Man muß ihnen so früh wie möglich einen Karateschlag in den Nacken geben, und dann interessieren sie sich natürlich nicht mehr für die Details, und die Seite liegt vielleicht für die nächsten fünf oder hundert Jahre im Netz herum. Und vielleicht haben ihre Kinder dann Zeit, sich die Details anzusehen ... (lacht)

Beobachtet ihr, wie sich die Leute durch eure Seite bewegen?

Paesmans: Wir hatten mal einen Zähler installiert, aber mit dem sind wir total durcheinandergekommen. Wir haben jeden Tag nachgesehen, und es wurde eine richtige Obsession, was lächerlich war: „Oh, heute waren es nur 50 Leute!“ Wir haben den Zähler nicht mehr. Die meisten Netzkünstler loggen aber alles, was auf ihrer Site passiert. Nicht daß sie Gebrauch davon machen, aber das Künstlerego will wissen, wie die Öffentlichkeit die Arbeit ansieht.

Das ist eine der Eigenschaften des Internets: Das Publikum kann auf die Netzarbeiten einfach und direkt reagieren. Bekommt ihr Reaktionen von eurem Publikum?

Paesmans: Wir bekommen sehr viel E-Mail. In den ersten Wochen nachdem die Seite online war, haben wir vor allem Beschwerden bekommen. Die Leute haben ernsthaft gedacht, daß wir Fehler gemacht hätten. Die wollten uns etwas beibringen und haben uns E-Mails geschrieben: „Tut mir leid, daß ich Euch das sagen muß, aber Ihr habt diesen oder jenen Befehl vergessen.“ Die erste Seite ist zum Beispiel unformatierter ASCII- Code. Wir haben durch Zufall herausgefunden, daß das sehr gut aussieht. Aber wir bekommen immer noch Beschwerden deswegen.

Nur Beschwerden?

Heemskerk: Nein, viele Leute von Ami-Universitäten schicken uns E-Mails, in denen steht: „Hey, cool, man ...“

Paesmans: Und manchmal schicken uns Leute auch nützlichen Code. Jemand hat uns zum Beispiel ein Java Applet geschickt, das wir wirklich benutzt haben. Für so was sind wir sehr dankbar. Manche Leute unterstützen uns auch. Die schreiben: „Weiter, Jodi, weiter! Macht mehr Chaos! Laßt meinen Computer öfter abstürzen!“

Wenn man sich eure Seite ansieht, gibt es keinen Hinweis darauf, wer dahintersteckt: Ist Jodi eine Firma? Eine Organisation? Eine Gang? Wollt ihr die Anonymität im Internet thematisieren?

Paesmans: Wir haben uns dafür entschieden, unsere Arbeit direkt auf den Monitor zu bringen, ohne Pressemitteilungen oder unsere Biographie. Wir benutzen unsere Homepage nicht, um Informationen zu verbreiten. Wir zeigen Screens und Sachen, die auf diesen Screens passieren. Wir vermeiden Erklärungen. Viele Zuschauer wollen wissen, von wem ein Werk stammt, bevor sie sich eine Meinung darüber bilden. Wir versuchen, das zu vermeiden.

Gibt es irgendwo einen Hinweis auf eure Identität?

Paesmans: Nein, nur unsere E-Mail-Adresse. Es macht die Arbeit stärker, wenn man nicht weiß, wer dahintersteckt. Wegen der Anonymität unserer Seite kann man uns nicht aufgrund unserer Nationalität beurteilen. Ich weiß, daß das romantisch klingt, aber es gibt eine Staatsangehörigkeit des Cyberspace. Immer mehr URLs enthalten einen Hinweis auf das Land, aus dem die Daten kommen. Wenn zum Beispiel ein „.de“ für Deutschland in der Adresse ist, rückt man die Homepage automatisch in diesen Nationalkontext. Das gefällt uns nicht. Unsere Arbeit kommt aus dem Computer, nicht aus einem Land. Interview: Tilmann Baumgärtel