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Televisionen im Rückspiegel

■ Achtung, Ansteckungsgefahr: Ab morgen herrscht auf 3sat einen Monat lang das "Fernseh-Fieber". In einer Reihe mit Dokumentationen und Spielfilmen reflektiert das Medium Fernsehen über sich selbst

Verwunderlich ist es im Grunde nicht, wenn sich das Fernsehen intensiv mit sich selbst beschäftigt. Schließlich erscheinen auch ständig Bücher, die andere Bücher exegieren. Und weil es so nahe liegt, fing das Fernsehen früh damit an, sich zu erklären. 1960 zogen Wolfgang Neuss und Wolfgang Müller durch die Medienlandschaft, pfiffen auf Adorno und leisteten fröhliche Aufklärungsarbeit unter dem Titel „Wer nicht hören will, muß fernsehen“.

Strenger gingen drei Jahre später die SWF-Redakteure Georg Friedel und Dieter Ertel zu Werke. In einem 60minütigen Beitrag spürten sie dem „Fernsehfieber“ nach, das die Republik ergriffen hatte, und das ungläubige Staunen über Vermögen und Wirkung des eigenen Mediums steht den beiden Kundschaftern deutlich im Gesicht geschrieben. Kurioses und Befremdliches entdecken sie in den deutschen Auen. Acht Millionen Geräte sind in Betrieb, eine ausreichende Anzahl, um alles Leben in den Innenstädten ersterben zu lassen, sobald ein bedeutendes Fußballspiel oder ein Durbridge auf dem Bildschirm erscheint. Die Mehrteiler des britischen Krimiautors gelten als „Straßenfeger“. In der Tat regt sich wenig, als Kameramann Hartmut Missbach am Abend der Ausstrahlung des letzten Teils durch die Straßen streift: „25. Januar 1963, 20.30 Uhr. Fernsehzeit. In diesem Augenblick hält Deutschland den Atem an. Millionen sind nur von dem einen Wunsch beseelt, zu erfahren, wer nun in ,Tim Frazer‘ der große Buhmann ist“, so der Kommentar.

Bestandsaufnahme aus frühen TV-Jahren

Die Zeit der Ausgehkultur ist vorüber. Kinos, Theater und Varietés geraten in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Erst in den achtziger Jahren wird eine neue Generation wieder Gefallen finden an Artistik, Kabarett und anderen Bühnenkünsten. Auch wenn sich das Fernsehen mit Sendungen wie „Bios Bahnhof“ eilig bemüht, diese Alternativkultur zu vereinnahmen und deren Publikum erneut ans Medium zu binden, wird es doch, trotz zunehmenden Angebotes, die in den Sechzigern erlangte Allmacht nie mehr zurückgewinnen.

Von damals sind die großen Ereignisse in Erinnerung geblieben, Fußballweltmeisterschaft, nächtliche Boxübertragungen, die Mondlandung. „Fernseh-Fieber“ hingegen veranschaulicht die Biederkeit des weiland alltäglichen Angebotes. Auch damals schon zählte die Quote. Eine Stichprobe ergibt beste Ergebnisse für Volkstheater, Krimi und eine Revue mit Marika Rökk. Weit abgeschlagen rangieren zeitkritische Theaterinszenierungen und gediegene Filmkunst wie „Das Wunder von Mailand“. Soviel zur Mär, das Programm sei früher anspruchsvoller gewesen.

Unzufriedene Rundfunkteilnehmer organisieren sich in mehr oder minder dubiosen Organisationen, um Einfluß aufs Programm zu nehmen und ihre Forderungen nach leichter Muse, Zerstreuung, kurz „Sendungen, die nicht viel Kopfzerbrechen machen“ durchzusetzen. Andere wenden sich direkt an die Sender, per Post oder telefonisch, und äußern ihren Unmut in schon erstaunlich unflätigen Worten. Mit „Fernseh-Fieber“, dieser teils skurrilen, teils informativen Bestandsaufnahme aus den frühen Fernsehjahren, eröffnet 3sat die gleichnamige Reihe mit Filmen und Features, die das Medium aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten.

Unsortierte Archivschätze

Im direkten Anschluß folgt Bernward Wembers „Wieso denn ideologisch?“, eine gewissenhafte Auseinandersetzung mit einem Dokumentarfilm, dessen scheinbare Objektivität durch die eingehende Analyse seiner filmischen Mittel überzeugend in Frage gestellt wird.

Ein Film, der damals im ZDF gezeigt wurde, wo er heutzutage, mit seiner geduldigen Gestaltung und einer Laufzeit von 74 Minuten, in kein Sendeschema passen würde. Machart und Inhalt sind typisch für die stürmischen siebziger Jahre, als ein „Aspekte“-Leiter wegen der Ausstrahlung eines kritischen Kommentars mit Hausverbot belegt wurde und Peter Merseburger via Moderationsverweigerung gegen die Willkür seines Intendanten protestierte. Zahllose obrigkeitliche Maßnahmen prägten diese Ära, aber auch eine gewisse Öffnung des Mediums. Sendereihen wie „Glashaus – TV intern“ und „betrifft: fernsehen“ versuchten, das Medium transparent zu machen. Es war jedoch nur eine Frage der Zeit, bis die Redaktionen heftigen Angriffen ausgesetzt sein würden. 1976 wurde eine „Glashaus“-Sendung mit dem Thema „Was Arbeiter vom Fernsehen erwarten“ abgesetzt, weitere Querelen folgten, auch massive Anwürfe aus Kreisen der CDU als Reaktion auf die kritische Berichterstattung über die angestrebte Zulassung privater TV-Anbieter.

In den späten achtziger Jahren blieb die Beschäftigung mit dem eigenen Medium Carolin Reiber, Jochen Schroeder und Birgit Schrowange vorbehalten, das Programm wurde Gegenstand von Unterhaltungssendungen wie „Tele As“ und „Das hätten Sie sehen sollen“. Der nostalgische Rückblick „Fernsehen anno dazumal“ lieferte eine verklärende Darstellung des nationalsozialistischen Fernsehens; es häuften sich Sendungen zur Geschichte einzelner Gattungen oder des öffentlich-rechtlichen Fernsehens schlechthin – Traditionen wurden nicht mehr in Frage gestellt, sondern instrumentalisiert, um durch den Rekurs auf vergangene Leistungen einen Distinktionsgewinn zu erzielen gegenüber der regen privaten Konkurrenz – die ihrerseits mit „Canale Grande“ ein durchaus ansehnliches Medienmagazin zustande brachte.

Der von 3sat ausgerichtete sogenannte „Programmschwerpunkt Fernseh-Fieber“ verzichtet auf eine chronologische Struktur und vermittelt die skizzierten zeitgeschichtlichen Eigenarten eher indirekt. Gleichsam unsortiert stehen Archivschätze wie Helmut Greulichs „Vier Wochen ohne Fernsehen“ neben den hinlänglich bekannten Spielfilmen „Network“ und „Eine Frau steht ihren Mann“, manch Sehenswertes, zum Beispiel Bernd Bajogs ergiebige Dokumentation „Der Kandidat – Schafft Hartmut Roddeck den ,Großen Preis‘?“, wurde ausgespart. Dennoch ist dieses über den gesamten September ausgedehnte Sonderangebot eine grundsätzlich begrüßenswerte Unternehmung, denn mit fundiertem Wissen um die Vergangenheit des Fernsehens läßt sich das gegenwärtige Programmangebot ungleich bewußter rezipieren. Harald Keller

Die „Fernseh-Fieber“-Termine der kommenden Woche:

Sonntag: „Fernsehfieber“, 10.45 Uhr; „Wieso denn ideologisch? Eine Analyse filmischer Fehlleistungen“, 11.45 Uhr; „Das Beste an der ARD sind ihre Anfänge“, 21.15 Uhr

Dienstag: „Tödlicher Skandal“, 15 Uhr; „Die Fernsehsaga“, Teil 1, 20.15 Uhr; „Network“, 22.25 Uhr

Donnerstag: „Der Sonderfall. Druck und Welle an der Saar“, 15.30 Uhr; „TV-IN-FORM – Beim Fernsehen hinter den Kulissen“, 16.15 Uhr; „Eine Frau steht ihren Mann“, 20.15 Uhr; „Gütt – ein Journalist“, 22.25 Uhr

Freitag: „Die Konsensfabrik – Noam Chomsky und die Medien“, Teil 1, 23.20 Uhr (Teil 2 am 12. September, 23.20 Uhr)

Der nächste Beitrag zum Thema „Fernseh-Fieber“ erscheint am kommenden Freitag

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