: Die Freiheit beginnt beim Bier
Die Russen sollen mehr Bier als Wodka trinken, findet die „Partei der Bierliebhaber“. Ausländische Brauereien freuen sich ■ Aus Moskau Ulrich Heyden
Vor der Obolon-Brauerei in Kiew herrscht Hochbetrieb. An der Verladestation warten zahlreiche Laster, die mit Bier für die Ukraine, Rußland und Deutschland beladen werden. Vor einem kleinen Gebäude am Tor drängeln sich Menschen schon morgens um sieben in einer Warteschlange, um frisches Bier zu kaufen. Es sind vor allem Rentner, die sich durch den Weiterverkauf etwas dazuverdienen.
Das meiste Bier in der Urkraine und in Rußland wird frisch verkauft, denn es hat nur eine Haltbarkeit von ein bis zwei Wochen. Bei der Obolon-Brauerei werden nur 20 Prozent des gebrauten Bieres mit speziellen Verfahren haltbar gemacht. Dieses Bier wird meist in weiter entfernte Gebiete geliefert.
Da die Obolon-Brauerei nur 80 Kilometer von Tschernobyl entfernt liegt, ist die Geschäftsführung mit dem Bierexport in den Westen zunächst einen besonderen Weg gegangen. Sie verkaufte das Obolon-Bier unter dem Namen „Berg“. Der Herstellungsort Kiew tauchte auf dem Etikett nicht auf. Inzwischen bekennen sich die Brauer allerdings zu Kiew als Herstellungsort. „Unser Bier ist jetzt populär“, sagt Sergej Bloschanewitsch von der Geschäftsführung.
In den vergangenen zwei Jahren hat sich auf dem Biermarkt im Osten einiges getan und das Angebot von Biersorten hat sich erhöht. Allein in Rußland gibt es nun 220 Brauereien. Einige haben sich ausländische Partner gesucht und bringen ihre Biertechnologie und die Etiketten sowie die Flaschenform auf einen modernen Stand. Oftmals werden alte Symbole und Abbildungen von traditionsreichen Brauereien wieder aus der Versenkung geholt.
Beim Bierhandel wird viel Geld verdient. An einem gut sortierten Straßenkiosk in Moskau kann man zwischen fünf und zehn russischen Marken und zehn bis zwanzig ausländische Biere wählen. Das ausländische Bier ist nicht nur wegen seines kräftigeren Geschmacks und des meist höheren Alkoholanteils beliebt, sondern vermittelt auch das Gefühl von Freiheit und Wohlstand. Nach Angaben der Investitionsbank Deutsche Morgan Grenfell, Tochter der Deutschen Bank, kommen 15 Prozent des in Rußland verkauften Bieres aus dem Ausland. Nur in Moskau und einigen anderen großen Städten liegt der Anteil des ausländischen Bieres bei bis zu 30 Prozent.
Zwölf Liter Bier trinken die Russen und Ukrainer durchschnittlich im Jahr. 1985 verbrauchten sie die doppelte Menge, sagt die Statistik. Ein großer Teil des in Rußland und der Ukraine konsumierten Bieres kommt jedoch als Schmuggelware über die Grenze und taucht in keiner Statistik auf. Die ausländischen Marktanalytiker haben für Rußland eine reale Biernachfrage von 50 Litern pro Kopf im Jahr errechnet. Dieses Defizit wollen die ausländischen Investoren und ihre russischen und ukrainischen Partner füllen.
Mit Investitionen auf dem russischen Biermarkt halten sich ausländische Unternehmen trotzdem noch zurück. Größter ausländischer Investor ist die 1990 gegründete Sun Brewing. Das Unternehmen ist ein Teil der indischen Sun- Gruppe. Die Deutsche Morgan Grenfell hält 19 Prozent der Aktien am Sun-Brewing-Konzern, der in Rußland an fünf Brauereien beteiligt ist. Damit halten sie immerhin einen Marktanteil von zwölf Prozent. Sun Brewing investierte freilich zunächst 10 Millionen Dollar für die Verbesserung der Bierqualität. Die zahlten sich schnell aus. Der Verkauf des Wiking-Bieres steigerte sich innerhalb von zwei Jahren um 342 Prozent, der Umsatz verdoppelte sich und lag 1996 bei 50 Millionen Dollar. Das von Sun produzierte Wiking-Bier liegt preislich zwischen dem billigen Schigulowskoje (1 Mark) und bekannten ausländischen Marken wie Tuborg und Heineken (3 Mark).
Auf der neuen Welle reitet sogar die bei Jugendlichen und Intellektuellen beliebte russische „Partei der Bierliebhaber“. Die Partei hat es sich zum Ziel gesetzt, den Wodkakonsum zugunsten des Biertrinkens zu reduzieren. „Der Mensch in den russischen Großstädten vereinsamt immer mehr“, meint der Parteivorsitzende Konstantin Kalatschow. „Sport, Musik und Bier, damit bringen wir die Leute wieder zusammen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen