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■ QuerspalteSie wollen Liebe

Sie stören jahrtausendealte Gepflogenheiten und erschüttern die Grundfesten der Menschheit. Wulf S. erzählt von seinem letzten One-night-stand. Gerade erst in der Disco in die Augen geschaut, die Frage „zu dir oder mir?“ souverän gelöst (zu ihr), voller Lust die ersten Berührungen hinter sich gebracht, fiepst es ein hungerleidendes Piepsen. Da griff es ein, das Ei in ihrer Tasche. Nicht eine Sekunde des Zögerns sei ihr anzumerken gewesen, sagt Wulf. Sie drückte sich von ihm, holte Tamagotchi ins Bett und fütterte es. Zu guter Letzt machte es einen Haufen, nur um ihm zu zeigen, daß es sich als Ei viel mehr erlauben kann als er.

Daß sich die Zuneigung der Menschen aufs Ei verschiebt und daß das eine Gefahr für unsere Gesellschaft ist, hat nun die hessische CDU gemerkt. Der Abgeordnete Clemens Reif hat den Kampf gegen die Eier aufgenommen. Er setzt dort an, wo Tamagotchis ihre heimtückische Saat säen: in Schulen. Immer mehr Schüler heulen sich den Rotz aus der Nase, weil ihre Küken sterben. „Es gab Hunderte von solchen Fällen“, sagt Reif. Hungrige Plastikküken lenkten die Aufmerksamkeit der Schüler von den Lehrern auf die Eier. Und das führe zu einer Art Liebe zu einem toten Gegenstand, so Reif.

Dank Clemens Reif wissen wir, worum es den Tamagotchi wirklich geht: um die Liebe, den Kleister zwischen den Menschen. Sie stören das menschliche Übereinander bei Erwachsenen und verführen Kinder, ihre Zuneigung totem Plastik zu widmen. Jeder kann sich vorstellen, was es bedeutet, wenn dieser Plan aufgeht: Die Gattung Mensch ist gefährdet. Jedes Ei, das schlüpft, bedroht die Menschheit. „Es ist ein Problem, das Millionen bewegt“, sagt auch Dirk Metz, Pressesprecher der hessischen CDU.

Leider haben das noch nicht alle begriffen. Der hessische Kultusminister zum Beispiel wollte keinen ministeriellen Erlaß für ein Tamagotchi-Verbot an Schulen erlassen. Bei so wenig Einsicht kann man nur hoffen, daß auch bei ihm das Ei irgendwann einmal zur falschen Zeit piepst. Nicol Ljubic

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