Zwischen Zudringlichkeit und Jagd

Nach dem Tod Dianas werden in Großbritannien strengere Pressegesetze diskutiert. Alles guckt auf die Yellow Press – dabei haben auch seriöse Medien die Paparazzi-Fotos gebracht  ■ Von Ralf Sotscheck

Dublin (taz) – Umsonst ist nicht mal der Tod. Und Fotos davon schon gar nicht. Eine Million Dollar will der Fotograf für die Bilder haben, die er von der im Autowrack eingeklemmten sterbenden Prinzessin Diana gemacht hat, bevor die Rettungswagen kamen. Bisher hat er keinen Abnehmer gefunden. Zur Zeit jedenfalls kann es sich keine Zeitung erlauben, die Fotos zu drucken – zu groß ist die Wut der Öffentlichkeit über die Paparazzi, die aufdringlichen Fotografen, die den Mercedes 600 von Diana und ihrem Freund Dodi Fayed in Paris auf Motorrädern verfolgt haben und an dem Unfall mitschuldig sein sollen.

Sieben Fotografen – sechs Franzosen und ein Mazedonier – sitzen noch in Untersuchungshaft. Dodi Fayeds Vater Mohammed, der Harrods-Eigentümer, will eine Zivilklage gegen sie erheben, sagte sein Pariser Anwalt gestern. Bei einem der Fotografen soll es sich um Jacques Langeven handeln, der sich durch seine Bilder vom Tianamen-Platz-Massaker, vom Golfkrieg und vom Krieg in Bosnien einen Namen gemacht hat.

Die britische Boulevardpresse erinnerte gestern daran, daß die mit langer Linse geschossenen Schlüssellochbilder von den sogenannten Qualitätszeitungen keineswegs verschmäht werden. Seit Dianas Beziehung zu Dodi Fayed vor zwei Monaten bekannt wurde, sind die unscharfen Fotos vom Mittelmeerurlaub der beiden in der Times, im Guardian, im Independent, im Daily Telegraph und im Observer erschienen. Selbst die BBC zeigte die Bilder in ihrer Nachrichtensendung; Sky-TV und ITN schickten gleich ein Kamerateam auf die Jagd nach Dodi Fayeds Yacht ins Mittelmeer.

Gestern streute man sich freilich Asche aufs Haupt und gelobte Besserung. „Ich glaube, die britische Presse unterscheidet zuwenig zwischen öffentlicher und privater Domäne“, sagte Alan Rusbridger, Chefredakteur des Guardian, „und darüber muß geredet werden.“

Der Fotograf Brian Harris kommentierte im Independent: „Wir sind alle verantwortlich für diese Tragödie. Die Leser, die Journalisten, die Fotografen und die Zeitungsverleger müssen einen Teil der Schuld für die Todesfälle in Paris auf sich nehmen.“

Und die Daily Mail schrieb: „Auch wir waren nicht immer unschuldig in dieser Beziehung. Und wir wissen um die Notwendigkeit für einen neuen, strengen und wirksamen Verhaltenskodex, der vom Presseaufsichtsrat aufgestellt werden muß.“ Andernfalls, so befürchtet das Blatt, könnte das Parlament „gefährliche Einschränkungen der Pressefreiheit verhängen, die dem öffentlichen Interesse ganz entschieden widersprechen“ würden.

Daran denkt die britische Regierung allerdings nicht. Außenminister Robin Cook hatte zwar am Sonntag angekündigt, daß man das Verhalten der Paparazzi untersuchen müsse, doch am Abend wurde aus Regierungskreisen bekannt, daß man weiterhin auf die Selbstregulierung der Presse setze. „Es wird eine Menge Geschrei geben“, sagte ein Beamter. „Aber nüchtern betrachtet stellt sich die Frage nach dem Sinn eines Gesetzes in diesem Land, wenn das Ereignis doch auf den Straßen von Paris stattgefunden hat.“

Chris Smith, der für die Medien zuständige Minister, sagte: „Wir müssen jetzt erst mal nachdenken, statt irgendeine übereilte Entscheidung zu treffen.“ Auch Lord Wakeham, der Vorsitzende des Presseaufsichtsrats, mahnte zur Vorsicht. „Ich beobachte die Situation“, sagte er, „und denke nach, was zu tun ist.“

Aber David Mellor, ehemaliger Tory-Minister für Kulturerbe, schwenkte um. Bisher hatte er ein Gesetz zum Schutz der Privatsphäre strikt abgelehnt, doch vorgestern forderte er eine Unterscheidung zwischen „unwillkommener Zudringlichkeit und physischer Jagd“ auf Prominente.

Andrew Neil, der Chefredakteur des Scotsman und früher bei der Sunday Times, kritisierte Mellor und Dianas Bruder Earl Spencer, der am Sonntag gesagt hatte, die Presse habe „Blut an den Händen“. Neil sagte: „Beide sind von der Presse in die Knie gezwungen worden, weil sie ihre Fehltritte enthüllt hat. Jetzt wollen sie Rache.“ Zu dem geforderten Gesetz zum Schutz der Privatsphäre sagte er: „Das kann immer erst dann angewendet werden, wenn die Fotos bereits abgedruckt sind. Das Gesetz würde aber legitimen investigativen Journalismus unterbinden.“

Vermutlich werden die Gerichte in Zukunft von Fall zu Fall ihre eigene Rechtsprechung auf Grundlage der Europäischen Konvention für Menschenrechte entwickeln, die die Labour-Regierung demnächst unterzeichnen will. Ob das allerdings den Abdruck der Fotos von Diana im Autowrack verhindern kann, wenn etwas Gras über die Sache gewachsen ist, bleibt abzuwarten.