: Operation geglückt, Patient arbeitslos
■ Die Bundesregierung lobt sich selbst: 50-Punkte-Programm für Investitionen und Arbeitsplätze umgesetzt. Kündigungsschutz verschlechtert, Lohnfortzahlung gekürzt. Doch leider gibt's eine halbe Million Arbeitslose mehr
Berlin/Bonn (taz/AFP) – Die Spargesetze kamen – die Jobs gingen. Nach wie vor. Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) zog gestern die erste Bilanz des sogenannten 50-Punkte-Programms für Investitionen und Arbeitsplätze, das die Bundesregierung vor anderthalb Jahren vorgelegt hatte. Fast alle der angekündigten Maßnahmen seien umgesetzt worden, freute er sich. Und das Ergebnis? Erfolge auf dem Arbeitsmarkt hätten mit dem Programm bislang nicht erzielt werden können, mußte Rexrodts Staatssekretär Klaus Bünger ergänzen.
Das im Januar 1996 vorgestellte Programm sah unter anderem vor, die Lohnnebenkosten zu senken und „bis zum Ende des Jahrzehnts die Zahl der registrierten Arbeitslosen zu halbieren“. Dazu sollten unter anderem der Kündigungsschutz verschlechtert, die Frühruhestandsregelungen verschärft und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gekürzt werden. Dies setzte die Regierung auch um, wobei allein die gekürzte Lohnfortzahlung für Unternehmen „Entlastungen in zweistelliger Milliardenhöhe“ ergeben hätte, heißt es in dem Bericht.
Die Firmen dankten dies nicht: Die Zahl der Erwerbstätigen hat sich im Mai 1997 im Vergleich zum Vorjahresmonat um eine halbe Million verringert. Das Handwerk baut Stellen ab, obgleich die Handwerksverbände gelobt hatten, neue Jobs zu schaffen, wenn der Kündigungsschutz aufgeweicht würde. Durch die Kürzungen bei den Krankenkassen stieg die Zahl der Arbeitslosen in sogenannten Gesundheitsdienstberufen im Juni diesen Jahres im Vergleich zum Vorjahresmonat um rund 24 Prozent. Nach Schätzungen der stellvertretenden DGB-Vorsitzenden Ursula Engelen-Kefer waren im August rund 440.000 mehr Menschen ohne Job als im Vorjahresmonat. Auch die Investitionen der Unternehmen im Inland kamen nicht in Gang. Obwohl sich die Gewerkschaften mit moderaten Tarifabschlüssen beschieden. Wirtschaftsstaatssekretär Bünger sagte gestern in Bonn, „Erfolge“ auf dem Arbeitsmarkt hätten mit dem Programm nicht erzielt werden können, weil die Wirtschaft angesichts der Globalisierung habe umstrukturieren müssen. Auch sei das Wirtschaftswachstum unzureichend. Erste Erfolge des Programms aber seien sichtbar, versicherte Bünger. Die Konjunktur gewinne zunehmend an Fahrt, die Wettbewerbskraft deutscher Unternehmen habe sich verbessert, und die „lang erwartete Wende am Arbeitsmarkt zeichnet sich bei aller Vorsicht in der Analyse langsam ab“. Bünger erwartet erst im kommenden Jahr einen Rückgang der Arbeitslosenzahlen, und das auch nur um 100.000. Damit rechnet das Wirtschaftsministerium im Jahre 1998 mit 4,2 Millionen Arbeitslosen. Zu dem auch von Kanzler Kohl postulierten Ziel, die Arbeitslosenzahl bis zum Jahr 2.000 zu halbieren, sagte Bünger: „Sich ein ehrgeiziges Ziel vornehmen ist das eine, die Frage der Umsetzung ist etwas anderes.“
Zu den Projekten, die noch bis zur Bundestagswahl im Herbst 1998 abgeschlossen werden sollen, gehören laut Rexrodt die Steuerreform, die Rentenreform und die Verabschiedung des Finanzmarktförderungsgesetzes, das Unternehmen den Zugang zu Risikokapital erleichtern soll. BD
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