piwik no script img

Zeiten des Nierentischs

Klappbett und Tütenlampe, Kunststoffschalen und Stahlrohrschleifen. Ein Streifzug durch die Wohnwelt der modernitätstrunkenen Fifties von  ■ Kirsten Niemann

Kehrrichtschaufel. Einkaufskörbchen. Servierbrett. Ein Stück ist schöner als das andere, am schönsten jedoch eine WC-Bürste. Elegant wie ein Golfschläger“, hieß es im Jahr 1958 in der Illustrierten Magnum, einer „Zeitschrift für das moderne Leben“. Während man heute über vieles, was die Zeit von Nierentisch, Tulpenlampe und der Isetta hervorgebracht hat, schon wieder schmunzeln kann, empfand man das zu jener Zeit ausgesprochen modern. „Das Moderne ist intelligent“ hieß die Devise der Nachkriegsära. Ein begeisterter Autor in Magnum: „Hier wächst ein neuer einfacher Stil heran, der einmal unser ganzes Leben bestimmen wird!“

In den fünfziger Jahren erlangte Design zum ersten Mal kulturelle Bedeutung. Und in keinem anderen Land hielten Zeitgeist und Ästhetik dieser Epoche so begeistert Einzug in die Wohnzimmer wie im Deutschland der Wiederaufbaujahre.

Die Epoche der Fifties – die übrigens nicht nur ein Jahrzehnt, sondern die ganzen 17 Jahre zwischen Kriegsende bis Anfang der Sechziger einschließt – hat in der Architektur allerdings wenig Attraktives hervorgebracht. Denkt man nur an die verkorksten Flachbauten in den Einkaufszonen von Wedding und Neukölln, in denen heute vor allem Teppichbodenhändler ansässig sind und Aldi-Märkte. Nicht weniger unansehnlich sind die nur reichlich vage an den Bauhausstil der zwanziger Jahre angelehnten Resultate im Wohnungsbau: Noch heute werden die Städte beherrscht von diesen schnell hochgezogenen, einförmigen Rasterbauten auf Stelzen. Die Räume hinter den gekachelten Fassaden sind so eng, daß man sich in ihnen kaum um die eigene Achse drehen kann. Zwölf bis sechzehn Quadratmeter maß das durchschnittliche Zimmer der Nachkriegszeit.

Das bedeutete das Aus für das altdeutsche Stilzimmer. Denn die schlechte Wirtschaftslage der Nachkriegsjahre zwang zum sparsamen Wohnen: Schmucklosigkeit und Einfachheit, gerade, „ehrliche“ Kastenformen waren angesagt. Kein Wunder, daß 1949, auf der ersten deutschen Möbelmesse der Nachkriegsära in Köln („Neues Wohnen“), die Erfindung des „mobilen Mobiliars“ bejubelt wurde. Praktische Ideen wie Schlafcouch, Schrankbett und Klapptisch, damals eigentlich nur als Notlösung konzipiert, haben sogar bis heute überlebt.

Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung, der Gründung der Bundesrepublik und der Währungsreform geriet die Attitüde der neuen Bescheidenheit und Selbstbeschränkung rasch ins Hintertreffen. Ab 1950 wurden in den alliierten Zonen Westdeutschlands die Lebensmittelrationen wieder aufgehoben. Ein neues Bedürfnis nach lang vermißter Eleganz und nach Luxus machte sich breit. Man glaubte an das große Wirtschaftswunder und vor allem an alles Moderne.

Ein neues, „organisches“ Design, dessen Formensprache ihren Ursprung in der europäischen Kunst der Vorkriegsjahre hatte, löste die gerade Kastenform der Möbel ab: Die Nierenform des Bildhauers und Dadakünstlers Hans Arp, die Rundungen bei Miró und Picassos Konstruktivismus prägten das neue Design. Auch atompilzähnliche Formen wurden populär, Formen, die man damals gerne mit Eigenschaften wie „heiter, leicht, anmutig und dynamisch“ belegte. Die Welt wurde auch wieder farbiger: Ein „behagliches“ und als geglückt angesehenes Interieur konnte eine olivfarbene Decke, einen graphitgrauen und einen roten Sessel mit einer blauen Couch in Einklang bringen.

Anerkanntes Lieblingsthema der Formschaffenden waren damals die Kleinmöbel, vor allem Sessel und Stühle. Frei schwingende Kunststoffschalen und mit buntem Stoff bespannte Stahlrohrschleifen schafften ein völlig neues Sitzvergnügen zum „gelockerten Lesen und Plaudern“, tönte die Werbesprache der Epoche. Die fast immer schrägbeinigen Sitzmöbel setzten „optische Akzente“, Sitzschalen galten dagegen als besonders „körpergerecht“. Diagonale, schräge Formen verhießen „Spannung“. Rundungen, Eiförmiges und Schwünge aller Art zeichneten sich als „organisch- plastoid“ aus. Möbel hatten nicht länger „Schau-“ und „Nebenseiten“, sondern wurden als raumgreifend empfunden und plastisch gestaltet. Ein Möbel sollte sich schließlich von jeder erdenklichen Perspektive aus gleichwertig zeigen können.

Zwischen all diesen „mobilen Sitzgelegenheiten“ eines stilbeflissen eingerichteten Wohnzimmers standen ein Nierentisch und die praktischen, weil biegbaren Tütenlampen mit ihren bunten Ölpapierschirmchen. Die „modernen“ gemusterten Tapeten mit großzügigen asymmetrischen Flächen sollten die oft beengenden Raumproportionen optisch aufwerten.

Die Modernität der fünfziger Jahre zog vor allem in die Küche ein. Im Hinblick auf die „modernen Ernährungsmethoden, Mixen und Grillen“, beschreiben die zeitgenössischen Autorinnen Ruth Geyer-Raack und Sibylle Geyer das „Hausfrauenparadies“: „...man verwendet heute gern ... farbige Keramikgeschirre neben Cromargantellern, hitzebeständige gläserne Geschirre neben getönten Trinkgläsern und Tonkrügen, setzt alles auf sechs farbige Sets und steigert das Ganze noch mit Blumen und Früchten.“ Auch die „Schaumgummikissen mit gelbem Cordbezug“, ein „umleimter Tisch mit seidenmatt-schwarz belegter Kunststoffplatte“ und „terrakottarote Kunststoffblenden“ waren vor allem eines: modern.

Die Funktionalität war die Basis für die neue Ästhetik. So bilanzierte eine Magnum-Ausgabe aus dem Jahr 1959 über den Umbruch am Anfang des Jahrzehnts: „Die Architekten sannen über die ,Funktion‘ des Löffels, des Stuhls wie über metaphysische Ideen nach, und wer am besten durchschaute, was ein Eßlöffel ist, und der überraschten Menschheit mitteilen konnte, wie ein Löffel der Zukunft aussehen müsse, war das Genie der Epoche.“

Nur daß die Umsetzung dieser Ideen nicht immer praktisch war. Schließlich machten sich beispielsweise im Hansaviertel, dem großen Bauprojekt der Internationalen Bauausstellung Berlin 1957, einige Mängel bemerkbar. So fluchten die Hausfrauen im IBA-Wohnhaus von Walter Gropius über die ständig faulen Zwiebeln und Kartoffeln: Der Meister hatte durch die Speisekammer die Rohre der Zentralheizung legen lassen.

Paul Maenz: „Die 50er Jahre“,

DuMont-Verlag Köln, 1984.

Ruth Geyer-Raack, Sibylle Geyer:

„Möbel und Raum“, Berlin 1955.

„Magnum – Die Zeitschrift für

das moderne Leben“, Wien/Köln, 1954–59.

„1945–1960 – Interieur und Design in Deutschland“, Berlin 1993.

50ies-Wohnen

Gerade sinds noch die 70erJahre. Vielleicht naht bald das Revival der 50er. Zumindest in puncto Wohnen hat die Nierentischherrlichkeit wieder Charme. Da gibt's Kneipen, die die Fifties zelebrieren, Filme, die die Aura der Wiederaufbaujahre in die Wohnzimmer holen. Eine Beilage rund ums Wohnen in den 50ern, gestern und heute

Zwischen Gelsenkirchener Spätbarock und Bauhaus: gehobener Wohnstil der Fünfziger Entnommen aus: Bikini, Elefanten Press Verlag

Nur hierzulande eroberte die Ästhetik der 50er so begeistert die Wohnungen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen