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Wand und BodenDie Technologie schmilzt dahin

■ Kunst in Berlin jetzt: Oder Reifenberg, Offene Gesellschaft, Artbridge/Kunstbrücke

Es sieht nach Grenze aus. An der Schinkelstraße steht ein Polizist vor einer Schranke, die den Verkehrsfluß am Bismarckplatz von der feinen Häuserzeile dahinter fernhält. Hier liegt das Generalkonsulat des Staates Israel, gegenüber das Bundesumweltamt, in dessen Nebengebäude Oder Reifenberg Skulpturen aus Plastikfolie zeigt – Informationsmaterial kann man sich wiederum beim „Zentralen Antwortdienst“ um die Ecke abholen.

Anscheinend waren sich Künstler und Behörde über den Stellenwert der Ausstellung uneins: In der Pressemitteilung wird sie keck mit „Plastik plastisch“ anmoderiert, Reifenberg aber möchte unter dem Titel „Abwüste“ seine Kritik „in ikarischer Zeit“ darstellen: „Die Technologie führt hoch hinaus, doch schmilzt dahin, was unsere Welt beflügelt.“ Man kann sich der Sache allerdings auch ganz bescheiden über das Material nähern. Der israelischdeutsche Künstler benutzt allein Plastiktüten für seine Reliefs und Objekte, die er auf Reisen gesammelt hat. Mal tauchen hebräische Buchstaben auf den Kunststoffetzen auf, mal ist es das Logo einer New Yorker Boutique. Nur die Form hat sich komplett gewandelt. Indem Reifenberg die Tüten zerschlitzt, knittert, faltet oder ineinanderschmilzt, kann er den synthetischen Stoff wie millimeterdünn ausgewalztes Metall sehr bildhauerisch benutzten. So schwebt ein „Paar“ aus zerfledderter Klarsichtfolie zwischen zwei Pfeilern, transparent und figurativ zugleich. Am faszinierendsten jedoch wirken die Stücke, bei denen Reifenberg wie ein Modemacher vorgeht und allerlei Markennamen zu ärmlichen Röcken vernäht. Dann verwandelt sich die griechische Tragödie in ein ironisches Spiel mit der Zeichenwelt der achtziger Jahre.

Bis 12.9., Mo.–Fr. 9–18 Uhr, Bismarckplatz 1

Nicht immer haben KuratorInnen die gleichen Interessen. Katharina Kaiser vom Kunstamt Schöneberg klagte zur Eröffnung der „Offenen Gesellschaft“ im Haus am Kleistpark über fehlende Kulturmittel, Peter Funken sprach von Karl Poppers Sozialutopie in technokratischen Zeiten und dem netten Nachtclubleben etwa in der Love-WG in Prenzlauer Berg als Alternative zum ambitionierten Galeriebetrieb in Mitte. Dazwischen standen die vier KünstlerInnen, vom Aufbau übermüdet. Die Bilder, aus denen sich das Environment der „Offenen Gesellschaft“ zusammensetzt, sind flüchtig, spontan und beiläufig arrangiert. Doch gerade die Nebensächlichkeit macht jedes Ding zum eigenwilligen Objekt. Gleich im Eingang hat Thomas Rudolph eine Trennwand, die sonst vor der Fensterfront das Außenlicht fernhält, quer zum Raum verschoben. Nur mit dünnen Verstrebungen gesichert, droht sie auf den Besucher herabzustürzen. Der architektonische Eingriff ist präzise, aber nicht pathetisch. Anders als etwa bei Gerhard Merz und seinen zugegipsten Spanplattenmauern legt Rudolph keinen Wert auf Überwältigung. Eher schon hebt er den Freiraum dahinter hervor. Man kann der Wand dabei quasi auf die Weichteile schauen und findet dort komische Anhaltspunkte wie das hingekritzelte „Halle rechts/ 8. von links“.

Matias Bechtold überträgt zweidimensionale Computerlandschaften in fragmentarische Raummodule. Wie ein gleichmäßig zerhacktes Ornament verknüpft das Ensemble aus grauen Quadraten die beiden Ausstellungssäle, behält aber den in sich geschlossenen, fortlaufenden Charakter der Arabeske bei. Links daneben hat Ingeborg Lockemann eine Foto-Story gereiht, die auf zehn Bildern erzählt, wie die Künstlerin sich eine afrikanische Holzfigur der Yoruba aus dem Völkerkundemuseum geliehen hat, um ihr Berlin zu zeigen. Im Glaskasten trägt Lockemann den Fetisch ins afrikanische Viertel, zum Fernsehturm oder mit ins Café. Am niedrigsten ist die Schwelle zwischen Kunst und Leben bei Goi: Der Büsumer Party-Aktivist stellt sein Wohnzimmer aus, in dem allerlei Objekte – vom rotierenden Kehrbesen bis zur Drehscheibe aus Ölbild-Miniaturen – untergebracht sind. Nur ein schmaler Holztresen trennt das Publikum vom psychedelischen Ambiente. In Griffweite liegt eine zerplatzte Melone. Die Fliegen werden sich freuen, die Museumswärter nicht.

Bis 21.9., Di.–So. 12–18 Uhr, Grunewaldstraße 6–7

Engländern begegnet man in Berlin entweder auf Baustellen oder unter Künstlern. Manchmal treffen die recht unterschiedlichen Interessengebiete auch zusammen: Vor sieben Jahren wurde „Artbridge“ in Prenzlauer Berg, ein Austauschprojekt auf Bezirksebene, eingerichtet. Künstlern aus dem Londoner Stadtteil Southwark werden kurzzeitig Ateliers zur Verfügung gestellt, damit sie vor Ort einmal im Jahr eine Ausstellung mit der hiesigen Szene erarbeiten, die später nach England wandert. Dort verfügt die „Bermondsey Artist Group“ über eine Produzentengalerie zwischen den Industrieanlagen unterhalb der Docklands. Mittlerweile hat hier die Tate Gallery eine Dependance, der Kunsthandel wird ihr vermutlich folgen – ob die „Artist Group“ davon Vorteile hat, weiß man nicht. Entsprechend zwiegespalten sieht auch Dave Allens in seinem Beitrag die Zukunft der Stadtplanung. Allen hat bei Rundgängen durch das Viertel allerlei Häuserlücken und Bauvorhaben fotografiert, die sich nun mit Eindrücken aus dem Alltag der englischen Suburbs vermischen. Die Arbeit wurde an einem Fenster im Dock11, einer früheren Fertigungshalle, befestigt. Überhaupt sollten alle elf beteiligten KünstlerInnen allein die Scheiben benutzen – die Fabrik als Kirchenschiff? Tatsächlich wirken die auf Pergament schimmernden Ölpapierschnipsel von Karla Woisnitza und Joan Lazeanu oder die archaischen Comicfiguren Ron Henocqs sehr getragen, Jane Collins „Alphabet“ setzt sich gar aus Kalenderesoterik zusammen, in der es von „psychischen Gegenwarten“ und „alter Onomatopoeia“ nur so wimmelt. Ganz und gar pop dagegen bleibt Hein Spellmann, der den simplen Siebdruck einer Hausfassade in zahllosen Farben über sein Fenster tapeziert hat. Am Abend schillert die Fläche silbern, tagsüber kann man durch die Löcher in der PVC-Folie etwas Hinterhof erkennen.

Bis 13.9., tgl. 16–20 Uhr, Kastanienallee 79 Harald Fricke

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