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Durfte sich Sir nennen

■ Der Dirigent Georg Solti starb im Alter von 84 Jahren

Nicht nur in Italien ist es Usus, einem Dirigenten mit der Anrede „Maestro“ gegenüberzutreten. Einige von ihnen lehnen dies als übertriebene Ehrerbietung ausdrücklich ab, bei anderen wirkt es ohnehin deplaziert, vor allem, wenn sie noch jung sind oder sich bewußt kollegial geben wollen. Für wieder andere, wie Arturo Toscanini, scheint der Begriff eigens erfunden zu sein, insbesondere dann, wenn man mit dem Begriff „Maestro“ geradezu tyrannisierende Autorität verbindet.

Überlegungen, ob dies die richtige Bezeichnung für Georg Solti sein könnte, waren überflüssig. Wortschöpfungen wie „Dirigent“ oder gar „Generalmusikdirektor“ sind nicht annähernd geeignet, seine Neigung zu paradoxen Interpretationsweisen, die meist am Ende kurioserweise zu schlüssigen, logischen und abgerundeten Ergebnissen führten, auch nur anzudeuten.

Solti war Analytiker, stets um Objektivität bemüht. Andererseits wurde er gerade auch wegen seines unerhörten musikalischen Temperaments bewundert. Solti war streng, ihm lag daran, die architektonischen Strukturen in der Musik freizulegen, Interpretationen abzuspecken, durchsichtiger zu machen. Gleichzeitig war der Hang zu klanglicher Opulenz und dramatischer Explosivität eines seiner Erkennungszeichen.

Die Erklärung dafür, wie es möglich ist, diese scheinbaren Gegensätze auch innerhalb ein und derselben Interpretation plausibel zu verwirklichen, deutete Solti einmal mit der Anmerkung an, daß er von Toscanini Disziplin gelernt habe, von Furtwängler jedoch, diese wieder zu vergessen. Mit der Einstellung, Details präzise zu kalkulieren und technische Schwierigkeiten unerbittlich einzuüben, bis sie fast im Schlaf beherrscht werden, um sich dann im Augenblick der Aufführung von all diesem frei machen zu können und sich auf den Klang zu konzentrieren, stand Solti nicht ganz allein da.

Darüber hinaus versuchte er allerdings, die Interpretationen „von innen“ heraus zu entwickeln, ihnen also keinen festgefügten Rahmen aufzuzwingen, sondern die Richtung von der Zelle zum großen Überbau einzuschlagen. Dadurch konnte neben der Präzisionsarbeit genug Raum bleiben für die „Eingebung des Augenblicks“, die letztlich für die Lebendigkeit der Wiedergabe entscheidend ist.

Georg Solti wurde am 21.10. 1912 als Georg Stein in Budapest geboren. Seine Karriere ließ sich allerdings zunächst nur unter großen Schwierigkeiten an. 1938 mußte er in die Schweiz emigrieren und schlug sich dort als Pianist durch. Erst als die amerikanischen Alliierten nach dem Krieg für München einen Dirigenten suchten, bekam Solti nicht nur einen festen Job, sondern vor allem damit auch ein Orchester zum Üben.

Denn der bis dahin in praktischer Hinsicht noch recht unerfahrene Solti hatte mit dem gleichen Problem wie die meisten angehenden Dirigenten zu kämpfen: Ihm fehlte ein „Instrument“, ein Orchester, mit dem er das theoretisch Gelernte auch regelmäßig ausprobieren konnte. Als er dieses dann zur Verfügung hatte, war es, als ob man eine Quelle angestochen hätte: Solti, der auf symphonischem Gebiet ebenso umtriebig war wie in Sachen Oper, übernahm im Laufe der Jahre die Leitung zahlreicher Orchester.

Vor allem das Chicago Symphony Orchestra spielte sich mit ihm zusammen innerhalb weniger Jahre in die Weltspitze hinauf. Die Amerikaner zeigten sich erkenntlich und bedruckten 1977 gar Chicagos Telefonbücher mit Soltis Konterfei. Sechs Jahre zuvor bereits hatte die Queen seine Verdienste um die englische Musikkultur als Leiter der Königlichen Oper Covent Garden mit dem Adelstitel gewürdigt: Von nun an durfte er sich Sir nennen und erhielt 1972 auch die britische Staatsbürgerschaft.

Solti galt anfangs vor allem als Bartók-Spezialist, was eher daran lag, daß man von einem Ungarn allgemein erwartete, daß ihm diese Musik quasi im Blut liegt. Sein Repertoire reichte allerdings bald von Haydn bis Strawinsky und darüber hinaus, wobei Mozart und Wagner den Schwerpunkt seiner Opernarbeit bildeten. Ungewöhnlich schnelle Tempi und ausgedünnte Besetzung bei „Cosi fan tutte“, die in den siebziger Jahren erhebliche Kontroversen auslösten, gehören zwar heute nicht zum Standard, bewirkten aber, daß die damals noch stark dem 19. Jahrhundert verhaftete, verklärende Mozart-Ästhetik mittlerweile weitgehend der Vergangenheit angehört.

Alterserscheinungen zeigte Solti bis zum Schluß nicht, im Gegenteil: Er neigte zuletzt sogar bisweilen zu schnelleren Tempi als in früheren Jahren. Der Grund dafür liegt allerdings wohl kaum darin, daß er noch vor kurzem den Wunsch äußerte, vor seinem Tod sein Repertoire noch einmal aufzunehmen, da man ja als älterer Mann vieles doch anders sehe. Erwartungsgemäß hat es mit der kompletten Neuaufnahme nun nicht mehr geklappt.

Solti starb 84jährig in Antibes. Daß die Besten früh sterben, wie neuerdings wieder so gern gesagt wird, kann man – zumindest für Dirigenten – nicht gerade behaupten, wenngleich auch Solti jetzt bereits vor dem Schlußakkord vom Podium abgetreten ist. Denn eigentlich wollte er in der kommenden Woche noch für die BBC in London Verdis Requiem aufführen. Dies wird nun ein anderer übernehmen. Annette Lamberty

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