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Erzkonservativer Engel

■ Mutter Teresa war eine katholische Fundamentalistin, die Armen und Sterbenden beistand, ohne die Ursachen für das Elend zu hinterfragen Von Sven Hansen

Erzkonservativer Engel

Die am Freitag abend im ostindischen Kalkutta an Herzversagen gestorbene Mutter Teresa war schon zu Lebzeiten so etwas wie eine Heilige. Die immer in einen weißen Sari mit blauem Rand gekleidete katholische Nonne wurde wegen ihrer Arbeit „Engel der Armen“ oder „Engel der Sterbenden“ genannt. Zugleich kritisierten nicht nur TheologInnen den unpolitischen, rein karitativen Ansatz ihrer Hilfe und ihre stockkonservativen religiösen Ansichten.

Ihre Arbeit selbst mochte niemand kritisieren. Vielmehr trug der aufopfernde Einsatz für Sterbende, Kranke und Arme der mit 87 Jahren Verstorbenen 1979 den Friedensnobelpreis ein. Sie fördere den Frieden auf fundamentalste Weise, indem sie die Unverletzbarkeit menschlicher Würde bestätige, schrieb das Nobelpreiskomitee damals. Nach dieser Ehrung setzte für die Ordensfrau ein wahrer Regen von Auszeichnungen ein, der von der Sowjetunion bis in die Vereinigten Staaten reichte.

1950 hatte die zierliche Nonne in Kalkutta den Orden „Missionarinnen der Nächstenliebe“ gegründet. Er entwickelte sich unter ihrem Management und mit ihr als bester Werbeträgerin zu einer globalen Wohltätigkeitsorganisation. Dem mittlerweile in über 110 Staaten aktiven Orden gehören heute 4.500 Nonnen an. Sie betreiben 600 Schulen, Kinderheime, Krankenhäuser und Sterbeheime.

Die Schwestern setzen sich ein für Hungernde in Äthiopien, die Strahlenopfer von Tschernobyl, Erdbebenopfer in Armenien oder Kinder im libanesischen Bürgerkrieg. Längst ist der Orden auch in den reichen Industrieländern aktiv. So betreibt er im Berliner Stadtteil Kreuzberg eine Suppenküche für Obdachlose und in Washington ein Kinderheim.

Die kleine Nonne mit dem vom Alter gekrümmten Rücken war eine altmodische Katholikin. Ein britischer Dokumentarfilm von 1994 kritisierte, daß sie den Armen Schicksalsergebenheit predige und den Reichen den Himmel verspreche, um ihnen Spenden zu entlocken. Wer ihr vorwarf, nichts gegen die Ursachen sozialer Not zu unternehmen, dem entgegnete sie, notleidende Menschen könnten nicht darauf warten, bis sich die Gesellschaft ändere. „Die Armen müssen wissen, daß wir sie lieben“, hieß ihre Botschaft.

Innerkirchlich war sie der personifizierte Gegenpol zu den Theologen der Befreiung, die sozial ungerechte Strukturen hinterfragen und vor allem in Lateinamerika aktiv sind. Die Friedensnobelpreisträgerin paßte insofern hervorragend zum konservativen Papst Johannes Paul II. Sie verteidigte katholische Dogmen wie die Unbefleckte Empfängnis und die Unfehlbarkeit des Papstes. Sie galt als Vertreterin eines konservativen Frauenbildes, das dem weiblichen Geschlecht Demut predigte.

Sie verteidigte die Unfehlbarkeit des Papstes

Zugleich war sie selbst nicht frei von der läßlichen Sünde der Eitelkeit. Ihren Ruhm nutzte sie für ihren Orden, wie auch sämtliche finanziellen Auszeichnungen ihrer Arbeit zugute kamen. Dabei heißt es, sie habe den Friedensnobelpreis zunächst nicht annehmen wollen, weil in dem Komitee mehrheitlich Protestanten sitzen.

Mutter Teresa fühlte sich vor allem ihrem Glauben verpflichtet. Der ließ sie gegen die Todesstrafe in den USA kämpfen, die die Heiligkeit des Lebens verletze. Zugleich bekämpfte sie Abtreibungen, die sie als „größte Zerstörung des Friedens“ bezeichnete. Jede Abtreibung sei eine „Verweigerung, Jesus zu empfangen“. Künstliche Verhütungsmittel lehnte sie auch im bevölkerungsreichen Indien kategorisch ab. Wer ein Kind nicht haben wolle, könne es ihr geben, pflegte sie zu sagen.

Einige Ärzte monierten den niedrigen medizinischen Standard und die mangelnde Professionalität der Gesundheitseinrichtungen des Ordens. Die britische Zeitung Guardian beschrieb einmal die Sterbehospize als organisierte Form unterlassener Hilfeleistung. Trotzdem gehörten die studierte Ärztin und ihre Schwestern zu den wenigen Personen, die sich um die Hunderttausende Menschen kümmerten, die auf den Straßen der ostindischen 12-Millionen-Metropole leben und sterben.

Die indische Regierung hat inzwischen eine zweitägige Staatstrauer angeordnet, mit der sonst nur hohe Staatsführer geehrt werden. Bereits am Samstag hingen in Indien die Fahnen auf halbmast.

Gestern wurde der Leichnam in die Sankt-Thomas-Kirche im Süden Kalkuttas überführt und dort unter Glas aufgebahrt, um der Bevölkerung bis zur Beerdigung am kommenden Samstag Gelegenheit zu Trauerbekundungen zu geben. Tausende von Hindus, Muslimen und Christen nutzten schon am ersten Tag die Gelegenheit. Premierminister Inder Kumar Gujral verglich die Verstorbene bei seinem Besuch am Sarg mit Gandhi. Wie Gandhi in der ersten Hälfte des Jahrhunderts habe sie in der zweiten Hälfte den Indern den Weg aus der Armut gewiesen. Er komme als Vertreter einer „verwaisten Nation“. Selbst Führer der fundamentalistischen Hindu-Partei BJP zollten ihr Respekt, obwohl sie im öffentlichen Dienst Quoten für die zwei Prozent starke christliche Minderheit gefordert hatte.

Auch die Regierung Albaniens hat für Mutter Teresa, die albanische Eltern hatte, drei Tage Staatstrauer angeordnet. Ministerpräsident Fatos Nano plant, ihr die höchste nationale Auszeichnung zu verleihen. Mutter Teresa, mit bürgerlichem Namen Agnes Gonxha Bojaxhio, war 1910 im heute makedonischen Skopje geboren worden. Den Namen Thérèse legte sie sich nach der französischen Heiligen Thérèse vom Jesuskind zu. Mutter wird sie in Indien genannt, dessen Bürgerin sie seit 1950 ist.

Ihre Eltern stammten aus Albanien

Mit 18 hatte sich die damalige Schwester Agnes dem Loretto-Orden angeschlossen. 1929 traf sie in Kalkutta ein und wurde später Lehrerin für Töchter der Oberschicht. 1946 entschied sie, fortan nur den Armen zu dienen. Der Orden wurde 1950 vom Vatikan anerkannt. Die Ordensschwestern verpflichten sich, niemals für Geld oder für Reiche zu arbeiten.

Die Gesundheit von Mutter Teresa, die einen Herzschrittmacher trug, war schon seit langem angeschlagen. Im März hatte sie die Ordensleitung an die 62jährige indische Schwester Nirmala abgegeben. Wenn die Aufmerksamkeit nach dem Tod von Mutter Teresa abgeklungen ist, dürfte es für den Orden schwieriger werden, die für die Arbeit nötigen Spendengelder zu bekommen. Doch der Orden geht davon aus, daß sie schon bald vom Papst seliggesprochen wird. Schließlich würdigte Papst Johannes Paul II. Mutter Teresa als Frau, die „unser Jahrhundert gekennzeichnet“ hat.

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