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Unterm Strich

Er galt als ein Enfant terrible der Psychologie: Hans Jürgen Eysenck ist nach langer Krebskrankheit in London im Alter von 81 Jahren gestorben. Seine Thesen über die genetischen Grundlagen sozialen Verhaltens und der Intelligenz sorgten seit Jahrzehnten für kontroverse Diskussionen. Von seinen Anhängern wurde der Wahlbrite als einer der bedeutendsten Vertreter der zeitgenössischen Psychologie, als „Papst der Verhaltensforschung“ gefeiert, von Kritikern hingegen als „Rassist“ verurteilt.

Eysenck war „der Mann, den man gerne haßt“, schrieb das britische Wissenschaftsjournal New Scientist. In der Tat war ein Sturm der Entrüstung laut geworden, als der gebürtige Deutsche 1971 sein Buch „Vererbung, Intelligenz und Erziehung“ herausbrachte. Darin war der Experimentalpsychologe, der bereits 1948 den renommierten Lehrstuhl für Psychologie an der Universität London innehatte, zu dem Schluß gekommen, daß die Intelligenz weitaus stärker von Erbanlagen beeinflußt wird als von Umweltbedingungen. Auch auf IQ-Unterschiede zwischen Schwarzen und Weißen hatte Eysenck abgezielt. Sein damals vor allem in Deutschland heftig kritisiertes Forschungsresümee zur Rolle von Milieu, Schule und Elternhaus lautete lapidar: „Ihre Rolle ist sehr klein.“ Das Verhältnis liege bei 20 zu 80.

Seine Haltung stieß bei vielen um so mehr auf Unverständnis, als Eysenck selbst unter einem deterministischen Weltbild zu leiden hatte. In Berlin geboren und auch aufgewachsen, war er vor den Nationalsozialisten 1934 zunächst nach Frankreich und dann nach Großbritannien emigriert. In London promovierte er 1940 und arbeitete dort schon während des Zweiten Weltkriegs als Psychologe. Nach dem Lehrstuhl an der Uni der britischen Hauptstadt kamen später zahlreiche Gastprofessuren in den USA hinzu. Eine Abteilung am Psychiatrie-Institut des Londoner Maudsely Hospitals wurde unter Eysencks Leitung zu einer der bedeutendsten psychologischen Forschungsstätten in Großbritannien. Als Eysenck auf einem Vortrag die Heilungsquote von Neurose-Patienten nach einer zweijährigen Therapie statistisch als ebenso hoch ansiedelte wie ohne Behandlung, nannte ihn ein Kollege „Verräter“. Unter seinen insgesamt mehr als 60 Büchern, die sich in Millionenauflage verkauften, gab es auch solche zu scheinbar unverfänglichen Themen wie das Rauchen.

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