: Symbolische Strafmaßnahmen
Erst ist es ein glühend Empor!, dann eine lange ruhige Krise und schließlich nur noch Beziehungsdynamik und Erinnerung: Die Berliner Schaubühne ist als Projekt gescheitert und Andrea Breth als künstlerische Leiterin zurückgetreten ■ Von Petra Kohse
Früher, vielleicht vor 20 Jahren, da war Otto Sander ein junger Schaubühnen-Schauspieler und arbeitete nebenbei fürs Hörspiel. Heimlich, wie er im gerade erschienenen Jahresband der Zeitschrift Theater heute gesteht, denn sonst wäre er sicher von der „Theaterpolizei verhaftet worden“. Und tatsächlich: Als Peter Stein ihn schließlich bei einem Seitensprung erwischte, warf er ihm „künstlerische Umweltverschmutzung“ vor und zog das Hörspielhonorar umstandslos von der Gage ab. Das waren so die Zeiten: Mitbestimmung am Spielplan entschädigte für Einheitslohn und klösterliche Versenktheit in die Arbeit – die Bühne war ein reiner, war ein heiliger Ort.
Heute ist Stein weg, Sander ist weg, aber die Schaubühne gibt es noch immer. Der Einheitslohn ist abgeschafft, ein Büro für Öffentlichkeitsarbeit eingerichtet, aber das Mitbestimmungsrecht war bis letzten Montag garantiert. Ein Recht, dem die Schauspieler zuletzt immer weniger Pflichtbewußtsein entgegengebracht hätten, meint Andrea Breth, künstlerische Leiterin am Hause seit 1992. Stein weiland nicht unähnlich, verdonnert sie die Nebentätigkeit in Film, Funk und Fernsehen als „Goldgräberstimmung“ und „Selbstvermarktungsdenken“. Das ist ihr unbenommen, aber warum hat sie die Betreffenden nicht diszipliniert? Ihnen das Honorar von der Gage abgezogen oder sie in stummen Rollen in dunkle Ecken gestellt?
Weil das heute nicht mehr geht. Weil die Fremdhonorare in der Regel sehr viel höher sind als jede Theatergage und sich der quasireligiöse Ansatz der Schaubühne nur noch (Tatsache!) von Bibellesungen nährt. Ein Nostalgieprogramm für müßiggehende Schauspieler in einem Theater, das 1970 nicht nur ästhetisch, sondern auch strukturell Avantgarde wurde, das seit 1981 zum Establishment gehört und seit 1989 immer weniger versteht, was passiert.
Wobei die 44jährige Andrea Breth, die über Bochum und Wien an die Schaubühne kam, eine integre Regisseurin ist. Sie selbst hat sich in den vergangenen fünf Jahren nur diesem Theater vorbehalten und sichtbar um eine Form gerungen. Indes, die Schaubühnen-Idee, die sie als Ideal offenbar ungebrochen in sich trägt, kann sie künstlerisch nicht füllen. Nicht in der Art wenigstens, daß der Betrieb nicht auseinanderfiele. Aber möglicherweise ist das ja auch symptomatisch für einen Verbund, der aus den 70er Jahren West in unsere Zeit hineinragt. Und symptomatisch ist wahrscheinlich auch das Knäuel von Vorwürfen, Verletzungen und Selbstkritik, das in den letzten Tagen nicht nur durch die Schaubühne gerollt ist, sondern (früher undenkbar!) auch durch die aktuelle Ausgabe des Spiegel.
Vom Projekt über die Projektion zur Frustration. Erst ist es ein glühend Empor!, dann eine lange, ruhige Krise und schließlich nur noch Beziehungsdynamik und Erinnerung. So groß der gesellschaftliche Anspruch des Anfangs war, so rachsüchtig kann am Ende das Private herrschen. Wenn nicht etwas geschieht.
Die künstlerische Krise der Schaubühne ist seit Jahren kein Geheimnis. In finaler Rettungsabsicht wurde in der vergangenen Spielzeit rasch der Regisseur Michael Simon installiert und dann aber doch nicht so richtig präsentiert – kurzum, es hörte sich zunächst ziemlich gut an, was die Schaubühne letzten Montag bekanntgab: daß sie nicht nur den Mitbestimmungsgrundsatz aufzugeben, sondern ihr derzeit 18köpfiges festes Ensemble bis 1999 überhaupt aufzulösen gedenkt.
Ein angemessen mutiger Schritt in einer Zeit, in der Bühnenschauspieler gerne mal einen Film drehen (derart schließlich auch für ihr Theater werbend) – und als würdiger Bruch des Hauses mit seiner erdrückend erfolgreichen Vergangenheit als Ensembletheater. Keine Angleichung an den normalen Stadttheaterbetrieb, nein, gleich einen Schritt vorwärts zu neuen Produktionsformen, um die alte Qualität zu wahren. Respekt.
Vorgestern abend aber gab Andrea Breth ihren Rücktritt als künstlerische Leiterin bekannt, und nun liest sich das im Dienste der Sache donnernde Interview im Spiegel plötzlich bloß wie ein schäbiger Rundumschlag vor der Flucht nach hinten. Nicht um die Struktur, sondern nur um eine Schaffenskrise ist es am Ende also gegangen, nicht um Modernisierung, sondern um die Rache einer Modernisierungsverliererin.
„Ich sehe einfach nicht ein, daß ich in meiner Arbeit als Regisseur ständig durch Terminwünsche der Schaupieler gestört werde“, sagt Andrea Breth voll Bitterkeit. Die Reform als Strafmaßnahme, als symbolische überdies, denn – „der Sittenverfall ist aberwitzig“ – gemeint sind im Grunde wir alle und irgendwie auch sie selbst: „Es muß ja nicht jedermann so seltsam sein wie ich.“
Aus, beleidigt und vorbei. Für die Dauer ihres Vertrages wird Andrea Breth der Schaubühne bis zur Spielzeit 1999/2000 noch als Regisseurin zur Verfügung stehen, wobei sie ihre nächste Arbeit, „Dantons Tod“ von Büchner, bereits abgesagt hat und offenbar nicht wirklich der Typ ist, der Unstimmigkeiten in Produktivität verwandelt. An ihrer Statt übernimmt Gerhard Ahrens die künstlerische Leitung, der seit 1996 zur Schaubühne gehört und 1993 auch als letzter künstlerischer Leiter des Schiller Theaters fungierte. Unverändert am Hause sind derzeit noch der Regisseur Michael Simon und natürlich der Schaubühnen-Mitbegründer Jürgen Schitthelm als Direktor.
Nach dem Berliner Ensemble, aus dem mit dem Schauspieler Martin Wuttke und dem Programm-Macher Carl Hegemann in dieser Spielzeit jeglicher Glam entwichen ist, ist damit auch das Repräsentiertheater West verkracht. „Das Theater ist ein Ort, an dem der Zynismus nichts verloren hat“, sagte Andrea Breth vor zwei Jahren in einem Interview. Daß sie auf den ersten Realitätseinbruch in ihrem Haus jetzt so unschön resignierend reagiert, berührt einen irgendwie seltsam.
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