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■ Welt Weit GrönlingJetzt neu: BertelSurf

„Du hast nicht glauben wollen, daß es jemals dazu kommen würde. Du siehst, du hattest unrecht.“ Die letzten Worte, die Kaiser Maximilian von Mexiko anläßlich seiner Erschießung 1867 an seinen ungarischen Koch richtete, spiegeln vielleicht das wider, was in den Köpfen Tausender CompuServe- und AOL- Kunden in diesen Tagen vorgegangen sein mag. Aber die bevorstehende Elefantenhochzeit war mehr als nur eines von vielen Internet-Gerüchten.

Nun wird es tatsächlich passieren, und Bertelsmann ist mit 135 Millionen Aussteuer dabei. Bill Gates soll angeblich auch ein Angebot gemacht haben. Das war aber noch zu einer Zeit, als die Online-Welt noch in Ordnung war und CompuServe dankend ablehnen konnte. Also mußte Gates, so der Netzfunk, sein Microsoft Network (MSN) allein aufbauen.

Daß kurze Zeit später alle Welt nur noch „WWW“ schrie und die auf zentrale Server ausgerichteten Online-Dienste von der Internet-Euphorie einfach platt gebügelt wurden, hatte niemand für möglich gehalten. Wer sich nicht schnell genug anpaßte und konkurrenzfähige Internet- Zugänge anbot, war ganz schnell weg vom Fenster. Wie Europe Online, aber daran wird sich niemand mehr erinnern.

CompuServe hat sich in diesem Tohuwabohu einfach nur ein bißchen verzettelt. Die Internet-Zugänge sind vergleichsweise langsam, und die Gebührenstruktur war bis vor kurzem noch fast so undurchsichtig wie die der Telekom. Die Einwahlprozedur dauert länger als anderswo der gesamte Mailaustausch, und die neue Software ist zwar todschick, aber elend langsam und machte am Anfang arge Probleme. So etwas verärgert die Leute, und auch die „familienfreundlich“ gemeinten Zusatzangebote wie Sportstars an den Online-Tasten konnten nicht verhindern, daß AOL ganz plötzlich nicht nur hierzulande mehr Kunden, pardon: Mitglieder hatte.

Dabei ist CompuServe an vielen Punkten besser organisiert als das chaotische Internet. Computerprofis wissen das und holen sich dort ihre Treiber- und Software-Updates, statt stundenlang im Web herumzustochern. Auch die vielen Profi-Datenbanken und vor allem den Nachrichtenticker ENS gibt es so nicht im Internet. Noch ist unklar, was sich für die 700.000 deutschen Kunden ändern wird. 90 Millionen wollen Bertelsmann und AOL in den CompuServe-Ausbau investieren. In überall zum Ortstarif erreichbare Knoten vielleicht? Dann müßte sich die Telekom endlich etwas wärmer anziehen. Dieter Grönling

dieter@taz.de

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