: Strahlendes Erbe im Osten
■ EU findet in neun osteuropäischen Ländern 5.800 Altlasten aus dem Uranbergbau. In der ungarischen Stadt Pecs fließt sogar strahlende Brühe ins Trinkwasser
Berlin (taz) – Reste aus jahrzehntelanger Uranverarbeitung verseuchen das Trinkwasser der ungarischen Großstadt Pecs. Zwei undichte Uranschlammreservoirs von zusammen 150 Hektar Größe mit 20 Millionen Kubikmeter strahlender Brühe sind undicht und fließen direkt ins Grundwasser der 200.000-Einwohner- Stadt. Das geht aus dem jetzt veröffentlichten ersten umfassenden Bericht über Uranaltlasten in Mittel- und Osteuropa hervor. Eine solche Analyse war bislang nur für Europas größtes Uranabbaugebiet, die ostdeutsche Wismutregion, erstellt worden.
Pecs ist nur eines der schwerwiegendsten Beispiele für die rücksichtslose Ausbeutung der Uranvorräte. Der Koordinator der Studie, Jan Vrijen, hat für die EU seit Sommer 1996 Daten über insgesamt 5.779 Uranaltlasten in den neun Staaten Ungarn, Tschechien, Rumänien, Polen, Bulgarien, Slowakei, Slowenien, Estland und Albanien zusammengetragen.
„Gesundheitsschutz und Umweltschutz haben beim Uranbergbau und der Verarbeitung kaum eine Rolle gespielt“, heißt es in dem Report. Die Zahl der erfaßten Altlasten reicht von 3.021 in Tschechien bis zu dreien in Estland. Abraumhalden und Schlammseen sind bei der Verarbeitung von Uranerz entstanden. Außerdem laufen Hunderte von Uranminen nach dem Ende des Abbaus unkontrolliert mit Wasser voll und gefährden so das Grundwasser zusätzlich. Neben der Verstrahlung des Wassers gefährden erhöhte Radonkonzentrationen die Gesundheit der Menschen in der Umgebung.
Neben Tschechien sind besonders Gebiete Bulgariens, Rumäniens und Ungarns belastet. In dieser Reihenfolge haben sich die vier Länder auch als Uranproduzenten auf dem Weltmarkt betätigt. In Ungarn gibt es zwar nur zwei der strahlenden Abwasserreservoirs in der Nähe der Stadt Pecs im Süden des Landes, die beiden ragen aber schon durch ihre schiere Größe heraus.
Die Situation in Pecs ist so gefährlich, daß die EU die Schlammbecken von Pecs als Modellprojekt für die Sanierung ausgewiesen hat. „In Pecs ist heute schon das Trinkwasser direkt betroffen“, so Vrijen zur taz. Die Schlammbecken seien einfach nach unten durchlässig, eine Abdichtung habe es bei ihrer Einrichtung nicht gegeben. Strahlungsgrenzwerte für das Trinkwasser würden in der Nähe schon deutlich übertroffen.
Bislang versucht die ungarische Uran- Bergbau-Gesellschaft (MEV), durch Abpumpen den Abfluß des radioaktiv verseuchten Wassers in Richtung Pecs zu stoppen. Beim Pumpen entsteht ein Grundwassertrichter, in den das verseuchte Wasser zurücklaufen soll. „Doch letztlich bleibt uns gar nichts anderes übrig, als die Teiche ganz trockenzulegen und dafür zu sorgen, daß kein Regenwasser mehr das radioaktive Material ausspült“, urteilt Vrijen.
Die Becken in Pecs stellen unmittelbar eine der größten Gefahren dar. Aber noch in sechs der anderen in der Studie untersuchten Staaten existieren solche Schlammrückhaltebecken, allein zwölf davon befinden sich in Tschechien.
Gefahr droht auch in Bukhovo nördlich der bulgarischen Hauptstadt Sofia. Dort werden radioaktive Schlämme aus einer Uranverarbeitung mit einem Damm in einem Talkessel zurückgehalten. Auch hier leckt der meterhohe Deich aus Geröll und Steinen an seinem Fuß, Radioaktivität tritt aus. Nahrungsmittel aus der Region sind mit zum Teil über 1.000 Becquerel pro Kilo belastet. Dies bedeutet: Die westdeutschen Strahlengrenzwerte würden um das 70fache überschritten, falls sich jemand ausschließlich mit Lebensmitteln aus der Region ernähren würde.
Vor allem aber liege der Deich von Bukhovo „in einem seismisch aktiven Gebiet“, so Vrijen. Bei einem Erdbeben könne niemand für die Stabilität des Damms garantieren. Der radioaktive Schlamm würde sich Richtung Sofia ergießen. „Beton haben die dort einfach nicht verbaut.“
Eine Aufstellung, wie viele Menschen in den neun Ländern durch die fast 6.000 strahlenden Altlasten gefährdet sind, bietet der Datenreport, der gedruckt 200.000 Seiten umfassen würde, noch nicht. „Dazu reichen bislang die Daten nicht“, so Vrijen. „Wir müssen als nächsten Schritt eine entsprechende Gefährdungsanalyse machen, wo die schlimmsten der Altlasten sind.“ Hermann-Josef Tenhagen
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