: Von Säuren, Laugen und Lösungen
■ Serie: Jobs für übermorgen. Seit 1984 kann man sich in Deutschland zum Ver- und Entsorger ausbilden lassen. Ein Besuch auf einem Recyclinghof In Berlin-Neukölln
Das Schild springt einem schon gleich am Eingang entgegen. „Sondermüll bis 20 kg kostenfrei, bis 500 kg entgeltpflichtig“, steht in großen Lettern auf der Holztafel am Recylinghof in der Gradestraße. „Manche Kunden regen sich auf, wenn sie hier was zahlen müssen“, sagt Daniela Baggio, „aber die Entsorgung kostet uns halt auch etwas.“
Daniela Baggio ist Entsorgerin. Acht Stunden täglich steht die 26jährige auf dem Recyclinghof in Berlin-Neukölln, nimmt Säuren und Laugen entgegen, sortiert Farben, Lösungsmittel und Leuchtstoffröhren, macht Spraydosen und Autobatterien fertig zum Abtransport. Hinten, in der Halle am Ende des Recyclinghofes, gluckern Fotogemische, Tenside und Altöl in meterhohen Plastikbehältern. Einige dieser Substanzen müssen erst neutralisiert werden, manche werden sofort zur Verbrennung weitergeleitet.
Dreieinhalb Jahre dauert die Ausbildung zum „Ver- und Entsorger“. Erst seit 1984 gibt es den Ausbildungsberuf. In den ersten zwei Jahren lernen die Azubis alles über Abfall, Abwasser und Frischwasser, danach müssen sie sich für ein Fachgebiet entscheiden. „Wer sich für diesen Beruf interessiert, sollte in den Naturwissenschaften schon fit sein, vor allem in Chemie und Biologie“, sagt Mario Schulz, Ausbilder am Berufsbildungszentrum in Essen.
Zur Ausbildung gehört das Einmaleins der Abwasserentsorgung, der technischen Steuerung und Kontrolle von Prozessen und die Analytik von Abwasser und Abfall. Der Entsorger braucht technisches und handwerkliches Know- how, er muß sich in der Laborarbeit ebenso auskennen wie beim Gabelstaplerfahren oder am Computer. Sein Aufgabenbereich umfaßt den gesamten Prozeß der Aufarbeitung von Wasser, Reinigung von Abwasser oder die Behandlung von Abfällen. Vor allem große städtische Unternehmen wie Stadtreinigungen und Wasserwerke bilden Ver- und Entsorger aus.
Heute ist es ruhig auf dem Recylinghof. Mittwoch nachmittag. Über den kleinen Monitor im Aufenthaltsraum hat Daniela Baggio die beiden Container für Farbeimer im Blick. Unbemerkt kann hier niemand mehr seine Farbreste abwerfen. Samstags, erzählt sie, sei es stressig. Da stünden die Kunden Schlange. Doch gerade den Kontakt zu den Kunden schätzt Daniela Baggio. „Und daß es ein anerkannter Umweltberuf ist, hat mich gereizt.“
Ver- und Entsorger können je nach Spezialisierung in Wasserwerken, auf Kläranlagen, im Kanalnetz, auf Deponien oder Schadstoffmobilen arbeiten. Die Berufsaussichten seien relativ gut, heißt es – wenn auch längst nicht mehr so rosig wie vor einigen Jahren.
Manchmal gehört auch Schichtarbeit zum Job. Auf dem Recyclinghof in Berlin-Neukölln zum Beispiel wird von sieben bis 21 Uhr gearbeitet. Daniela Baggio hat sich daran gewöhnt: „Da kann man wenigstens mal ausschlafen oder hat noch was vom Tag.“ Anja Dilk
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