: Raschèr, manchmal etwas langsam
■ Musikfest Bremen: The Raschèr Saxophon Quartet im Rathaus
Außenseiter haben es schwer? Richtig. Außenseiter haben es leicht? Auch richtig. Denn die Konkurrenz, der sie sich zu stellen haben, ist nicht groß.
So musiziert das Raschèr Saxophon Quartet auf einem technischen Level, mit dem es ihnen als Streicher nicht gelingen würde, in die absolute Spitze vorzustoßen. Für das Fach Saxophonquartett hingegen können die symathischen Menschen eine Art Alleinvertretungsanspruch für sich behaupten.
Die Abstimmung zwischen den Musikern ist gut, aber keinesfalls perfekt. Das schnelle Girlandenwerk bei Philip Glass ist – logischerweise – schnell, aber nicht brillant. In die Endlosschleifen-Dauermotorik dieser minimal music stürzt sich Rascher mit viel Konzentration, aber - auch bei den schnellen Sätzen - nicht mit blutdrucksteigernder Virilität. So konnten die Gäste des Bremer Musikfestes einem schönen Konzert beiwohnen. Bis in die Träume hinein verfolgte es einen nicht. Hochinteressant aber war das Programm.
Zum Beispiel ein siebensätziges Stück von einem Michael Denhoff. Gerade mal 42 Jahre alt, hat er immer noch reges Interesse an Positionen einstiger Avantgarde. So treibt ihn eine Lust zu architektonischer Bausatzkombinatorik, die immer ein hohes Maß an Schreibtischtüftelei voraussetzt: Sein Saxophonstück, so erzählt einer der Raschisten, existiere in zwei Varianten; und die können gleichzeitig gespielt werden, allerdings in spiegelverkehrter Reihenfolge der Sätze.
Trotzdem ist für Denhoffs Generation ein Zwang zu hoher Komplexität nicht mehr vorhanden. Es darf ruhig vertrackt werden, muß aber nicht. Hat Hans-Jürgen von Bose noch letztes Jahr bei der Uraufführung seiner Oper „Schlachthof 5“mit seltsam-verdächtiger Heftigkeit für sogenannte „Verständlichkeit“gegen sogenannte Donau-eschinger, Darmstädter „Sprödigkeit“agitiert, so wechseln bei Denhoff völlig ungeniert einfache Strickmuster mit dichtem Gewusel. Sein erster Satz gehorcht jener Überraschungsrhetorik, wo Charakter und Länge der jeweils nächsten Phrase für den Hörer absolut unberechenbar ist. Hier ein Einwurf, da ein Aufbäumen, dort ein Abbrechen: der Hörer sieht sich von musikalischer Struktur überrollt. Der zweite Satz dagegen lullt ihn ein in leicht eingängliche Motorik, die durch Akzentverschiebungen in schöner, alter Strawinsky-Manier spannend gemacht werden. Da scheint ein Motor zu schnurren, zu haken, zu stocken – und dann weiterzuschnurren.
Philip Glass steht ein für eine ganz andere Art der Verbrüderung von Gefälligem und Sperrigem. Er gilt als klebriger Populist: ein Mißverständnis; denn süffige, tonale Harmonik ist eben nur die eine Seite dieser Musik; konzentrationsfordernde thematische Kargheit, eine Ereignisarmut, mitten im Trubel die andere. Kollege Steve Reich formulierte das buddhistische Konzept: Es könne heute nicht mehr um Anhäufen von immer mehr, immer mehr Themen, immer mehr Stimmverschlingungen, Harmonien, Rhythmusüberlagerungen usw. gehen, sondern um Vertiefen in weniges. Auch das Concerto for Saxophone ist nicht mit pfiffigen Popsongs zu vergleichen, eher schon mit der Radikalität monochromer Bilder.
Als Bindeglied zwischen Bach und der zeitgenössischen Musik wählte das Raschèr Quartet Paul Hindemith. Mit seinem handwerklichen, eine Stimme aus der anderen herleitenden, kontrapunktischen Denken trägt er viel Bach in sich. Bei Ausbruch der Avantgarde beharrte er auf bewahrenden, mäßigenden Positionen, die jetzt wieder erkämpft werden – auf unterschielichste Weise, von einem Denhoff und einem Phil Glass.
1940 wetterte er in seiner „Unterweisung im Tonsatz“gegen die „Überintelligenz, die aus lauter Furcht vor Gemeinplätzen keinen Dreiklang mehr aufs Papier bringt.“Heute bringen sie ihn wieder aufs Papier. Zum offensichtlichen Vergnügen des Publikums. bk
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