: Polens Linksbündnis wirbt mit Erfolgsbilanz
■ Für die Linke wird es bei den Wahlen Knapp. Ohne Partner geht gar nichts
Warschau (taz) – Bill Clinton steht auf dem Schloßplatz in Warschau, umarmt den polnischen Staatspräsidenten: „Welcome to Nato!“ Applaus brandet auf. Schnitt: Oskar Lafontaine vor dem Königsschloß in Warschau. Er lobt die polnischen Sozialdemokraten für ihre Politik und will sie unterstützen. Die Botschaft des Wahlspots ist klar. Die Postkommunisten haben auf der ganzen Welt Freunde. Eine rote Rose schiebt sich ins Bild, dazu der Wahlslogan „Heute gut, morgen besser“. Der polnische Volksmund fügte hinzu: „Gestern ganz schlecht!“
Am Sonntag wählen die Polen ein neues Parlament. Schon jetzt ist sicher, daß sich die oppositionelle „Wahlaktion Solidarność“ (AWS) und das regierende „Demokratische Linksbündnis“ (SLD) ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern werden. Beide Bündnisse können mit 25 bis 30 Prozent der Stimmen rechnen. Entscheidend ist also, wer die stabilste Koalition aushandelt.
Hier hat zwar seit einigen Monaten die bislang außerparlamentarische AWS die Nase vorn, doch die SLD hat gezeigt, daß sie die konfliktreiche Koalition mit der Bauernpartei (PSL) halten konnte. „Wir haben Wort gehalten“, heißt es im SLD-Programm. Das Bündnis wirbt mit der Berechenbarkeit seiner Politik und mit seinen Erfolgen. „In allen Aspekten des wirtschaftlichen und sozialen Lebens hat sich die Situation verbessert“, eröffnete Ministerpräsident Wlodzimierz Cimoszewicz die Kampagne. „Polen ist Mitglied der OECD, wir führen Gespräche über die Aufnahme Polens in die Nato und die Europäische Union.“
In den Wahldebatten verweisen Politiker der SLD auf weitere Erfolge: Der Zloty ist härter geworden – die Inflationsrate sank von 34 Prozent im Jahre 1993 auf heute rund 15 Prozent, die Arbeitslosenrate von 16 auf knapp 12 Prozent, das Haushaltsdefizit konnte auf 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes begrenzt werden. Und: Polen hat eine neue Verfassung.
Tatsächlich hat die Wirtschaftsentwicklung Polens dem Land den Ruf eingebracht, der „Tiger“ unter den osteuropäischen Reformstaaten zu sein. Doch die Kritik mehrt sich in den letzten Monaten. Von den großen Problemen habe die polnische Regierung bislang keines angegangen, werfen sowohl Vertreter der Weltbank wie der Europäischen Union der Koalition vor. Im Vergleich zu Tschechien, Ungarn und der Slowakei weist Polen die schlechtesten Produktionsraten in der Landwirtschaft auf.
Über 27 Prozent der arbeitenden Bevölkerung leben von der Landwirtschaft. Doch sie erwirtschaften nur 7 Prozent der jährlichen Wertschöpfung. Eine US- Studie geht davon aus, daß der polnische Bauer nur zwei Stunden täglich effektiv arbeitet. Die verdeckte Arbeitslosigkeit schätzen Experten auf über eine Million.
Ganz schlecht sieht es auch im Kohlebergbau aus. Dort erreichen die Verluste jedes Jahr neue Rekordhöhen. Im letzten Jahr lag das Minus bei 700 Millionen Dollar. Noch arbeiten 250.000 Bergleute im Kohlebergbau. Doch bis jetzt hat die polnische Regierung bislang jede Strukturreform im schlesischen Kohlerevier vermieden. Die Privatisierung großer Staatsbetriebe kommt kaum voran: Die Hälfte des Industrie- und Bankensektors ist noch in Staatsbesitz.
Allerdings ist den Experten bei EU und Weltbank klar, daß auch die „Wahlaktion Solidarność“ diese Reformen nicht vorantreiben wird. Die Gewerkschafter wollen die großen Staatsbetriebe subventionieren. Umfragen zufolge setzen die meisten Unternehmer in Polen weniger auf den einen oder anderen Favoriten denn auf die „Freiheitsunion“ (UW) mit dem ehemaligen Wirtschaftsminister Leszek Balcerowicz an der Spitze. Er ist der Architekt der Reform Polens nach dem Regimewechsel.
Eine Koalition der SLD mit der UW sehen die Unternehmer daher fast genauso positiv für die weitere Entwicklung an wie eine Koalition der AWS mit der UW. Einer SLD- UW-Koalition steht aber die politische Vergangenheit entgegen. Während in der SLD die „Sozialdemokratie“ (SdRP), die aus der Kommunistischen Partei hervorging, den Ton angibt, zählen die meisten Mitglieder der UW zu den Oppositionellen, die in den achtziger Jahren im Gefängnis waren. Auch eine zweite Variante ist möglich: die Fortsetzung der bisherigen Koalition mit der Bauernpartei (PSL). Sie hat aber bislang jede Reform abzublocken vesucht und verfolgt nur ein Ziel: sich möglichst viele Pfründen zu sichern. Gabriele Lesser
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