: Käpt'n Rotbart übernimmt
Boris Becker hatte beim leichten Daviscup-Sieg im Abstiegsspiel gegen Außenseiter Mexiko alle Hände voll zu tun, mit und ohne Racket ■ Aus Essen Bernd Müllender
„Boris Becker ist zurück – für Deutschland!“ So hatte die ARD die erste Reihe werbend füllen wollen. „Fürchtet euch nicht – ich bin da!“ hatte ihm die heimische NRZ in den Mund gelegt. Die Grugahalle war gut gefüllt. 5.000 Huldiger und Huldigerinnen. Man weiß ja nicht, wie oft der Ratenrücktreter wohl noch kommt. Ob und wo und wann. Boris is back. Aber als was? Das hatte uns die ARD nicht verraten.
Boris Becker hatte in Essen viele Funktionen, viele Aufgaben. Am Freitag hatte er sogar leibhaftig Tennis gespielt. So wie man es seit jeher an ihm liebt: Mit grandiosen Bällen und einer Inflation an Doppelfehlern. Mit giftig aufblitzenden Augen Richtung Linienrichter; aber sonst wenig maulen, kaum lamentieren oder bobbelehaft stampfen, und auch nicht husten aus tiefstem Kehlkopf. Der „Glücksfall namens Boris“ (Transparent) hetzte seinen winzigen Gegenspieler Luis Enrique Herrera (knappe 170 Zentimeterchen) über den Court. Nach einem wuchtigen Schmetterball, der krachend gelang, ein Ansatz von Ali Shuffle. Eleganz des Alters. Die neue Rolle, gesetzter, souveräner. Dreisatzsieg sowieso.
Der Elder statesman der Filzkugeln ist unglücklicherweise zurückgetreten – von den Grand Slams, weil er sich für zwei Wochen Strapazen zu alt fühlt mit seinen fast 30. Zu kleineren Turnieren will er, so gelegentlich gesund, noch mal auftauchen aus dem Privatleben, nach Lust und Laune. „Ja“, sagt er, „ein bißchen spiel' ich noch.“ Der Daviscup ist da vom Niveau her, vom Finanziellen (2,6 Millionen Gage pro Jahr) und von der nationalen Reputation genau richtig. Daviscup ist Pathos. Becker liebt das Pathetische. Und nirgendwo ist er so begehrt wie hier. Und hier habe er „die beste Chance, dem Tennis als Aktiver treu zu bleiben“. Und als Nichtaktiver seine nächste Schaffensphase vorzubereiten.
Da gibt es viel zu tun. Nächstes Jahr wird Teamkapitän Niki Pilic, der erfolgreiche (drei Daviscupsiege), aber spröde und wenig geliebte Kroate, sein Schaffen vertragsgemäß beenden. Wer wird Nachfolger? Becker bereitet mit viel Engagement das Terrain hinter den Kulissen. Er hat Ambitionen. Und die meisten wollen ihn auch. Wer will ihn schon wobei nicht? Am Samstag beim Doppel mit Neuling Jens Knippschild (22) und dem ehemaligen Baby-Bumbum Marc-Kevin Goellner (auch schon 27) machte Becker sein Praktikum. Da saß er plötzlich als Frontmann in einer Prominentenbox – neben der des Teams und schräg hinter Pilic.
Er nickte, gesetzt und wohlwollend, erhob sich manchmal und gab gesetzte Ovationen, wann immer es ihm angemessen schien, bisweilen auch knappe Anweisungen. Und er machte, seine größte Freudengeste, die Faust, die Becker- Faust, seine Becker-Faust für dritte. Boris Becker war Nebenkapitän, Übungs-Pilic und selbstinthronisierter Zweitchef, eine Art Non-playing playing captain. Als er kurzfristig einmal verschwand, schien auch die Aura gegangen, und schon war der dritte Satz verloren. Danach ging schnell alles wieder gut: Vierter Satz gewonnen, Doppel gewonnen, alles gewonnen. 3:0 gegen den haushohen Außenseiter Mexiko. Nichtabstieg aus der Weltgruppe gesichert.
Hinter den Kulissen Kaffeesatzleserei und Mutmaßungen. Präsident Stauder, bereits 13 Jahre im Amt, gilt als schaffensmüde. Aber BB, seinen Günstling, will er noch einbinden im Verband. Wann soll er starten? Wenn BB will, sagt Niki Pilic, sogleich. Nein, sagt BB, „noch bin ich Tennisspieler“. Keine Wachablösung vor Ende 98. Vor allem kein Putsch. „Niki und ich“, sagt Diplom-Diplomat Becker, „sind zwei Männer, die schon lange ihren Weg gemeinsam gegangen sind.“
Alles geklärt? Nein, da ist noch dieser Stich. Michael Stich. Den gilt es abzublocken von seinen Ansprüchen. Mit dem Rücktritt kam ihm im Sommer ärgerlicherweise Becker knapp zuvor. Becker coacht ein Juniorteam, jetzt will Stich Ähnliches aufbauen. Und als er öffentlich seinen Anspruch auf den Chefposten im Daviscupteam erklärte, war die Becker-Innung intern schon schneller gewesen. Gegen zwei Gegner, den ungeliebten (gar verhaßten?) Sportkameraden Becker und den DTB, ist er, sagt Stich selbst, „auf der Strecke geblieben“.
Stich hat keine Chance, aber er will sie trotzdem nutzen. Am Samstag wurde der einst so elegante Ballbeweger tränennah mit viel wohlwollendem Applaus verabschiedet. Dann erklärte er, er könne sich auch einen Posten als Co-Coach vorstellen, wo einer auf dem Platz arbeitet und der andere, also er, „die Schreibarbeiten macht“. Klingt niedlich und irgendwie bockig. Manchmal sagt Stich zu viel. Keine Chance zur Legende.
Viel zu tun ist in diesen Zeiten für die lebende Legende Becker. „Boris, du mußt zum Film“ hatte Bild geschrieben. Weil er so gut aussehe. So Redford-sonstwie-mäßig. Die Haare nicht mehr wie ein GI, sondern versöhnlich länger, ordentlich gescheitelt, oben sehr hellblond. Das macht ihn wieder jünger, fast wie damals. Dazu der neckische Dreitagerotbart. Der FC Bayern will ihn imagefördernd in irgendein FC-Hollywood-Gremium einbinden. Am Wochenende zuvor hatte er im Privatjet Elton „Rose“ John besucht, dann am Dienstag Schalke 04 beim Europacup-Match. Und am Mittwoch für die Photographen selbst Fußball gespielt. Daneben ist er Nachwuchsförderer, macht Werbung für Schokopasten und als Rennfahrer.
Als Daviscup-Käpt'n bliebe auch für all das genug Zeit. Der postbanale Popstar Bumbum – begehrt, angehimmelt, umschwärmt. Der Glamourman. Seit dem Rücktritt im Juli, sagt Boris Becker selbst, „hat der Trubel um mich zugenommen“. Michael Stich, der ewige Erste im Zweiterwerden, hat nur die schönere Karriereendverletzung: in der rechten Schulter ein „chronisches Impingementsyndrom der Tiefenanteile der Supraspinatussehne am oberen Glenoidrand“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen