: Nur Gutes, Wahres und Schönes
Eine Million Italiener demonstrieren für ein geeintes Italien. Eigentlich demonstrieren sie natürlich auch gegen die böse, falsche und häßliche „Liga Nord“, aber die wird demonstrativ nicht erwähnt ■ Aus Venedig Werner Raith
Mit Umberto Bossi hat Salvatore Ernesti absolut nichts am Hut. Einen „ungehobelten Marktschreier“ nennt der 56jährige Kleiderfabrikant aus Venedig den Chef der separatistischen Liga Nord – einen „Scharlatan, der am Tag sechsmal seine Meinung wechselt“.
Trotzdem besucht Ernesti jede Veranstaltung im Umkreis von hundert Kilometern, auf der Bossi angesagt ist. Da steht er dann in einem Haufen zumeist im lindgrünen Liga-Look gekleideter Menschen und verweigert ostentativ den Beifall. Sein Urteil steht fest. Nein, sagt Ernesti nun auf der Fahrt über die große Brücke hinüber nach Venedig, „ich gehe da nur hin, um zu schauen, ob sich irgendwann mal einer aus der Regierung aufmacht, ein Zeichen zu setzen gegen diese Burschen.“
Bossi predigt, jeder weiß es inzwischen, die Abspaltung des Nordens von Italien zugunsten einer „Republik Padanien“. Der Name Padanien kommt von der Po- Ebene, die das Zentrum des neuen Staatsgebildes sein soll und auch die Grenze, denn „südlich des Po gedeihen nach Liga-Auffassung sowieso nur Ausbeuter und Mafiosi“, so jedenfalls versteht Ernesti den Liga-Führer.
Das Merkwürdige daran: So ganz unrecht gibt Ernesti dem Ekel Bossi gar nicht. Daß der Norden vom Süden ausgebeutet wird, ist auch für ihn Tatsache. „Unsere Steuergelder werden auch heute noch von Rom benutzt, um in Sizilien und Kalabrien auf Stimmenfang zu gehen.“ Umgekehrt sei die Hauptstadt „unseren Bedürfnissen gegenüber völlig unsensibel“. Wenn da eben nicht Bossi wäre, würde Ernesti die Forderung nach mehr Autonomie sogar gerne mittragen. Und „in der Liga, beim Fußvolk und in den Stadtsektionen“ räumt er ein, „sitzen nicht wenige meiner Freunde“.
Einer davon ist Giammatteo Caracciolo, 35jähriger Glasverarbeiter in einer Fabrik auf Murano. Caracciolo trägt normalerweise das lindgrüne Hemd der Liga auch bei der Arbeit – so überzeugt ist er davon, „daß man denen in Rom klar zeigen muß, unsere Geduld hat ein Ende.“ An Bossi allerdings scheiden sich die Geister. Ohne Bossi, sagt Caracciolo, „gäbe es bis heute die Liga-Bewegung und damit die gut artikulierten Forderungen gegenüber Rom überhaupt nicht, oder sie wäre längst wieder eingeschlafen.“ Gerade die Unberechenbarkeit Bossis sei die Stärke der Liga: „Schon aus den verzweifeltsten Situationen, als das Wählervolk in Scharen zu Berlusconis Forza Italia überlief, hat er uns wieder rausgehauen.“
Ernesti breitet die Arme aus. „Was soll man dazu sagen? Glaubst du wirklich, daß unser Autonomiestreben von einer einzigen Person abhängt, und noch dazu von einem solchen Flegel?“ Jetzt breitet Caracciolo die Arme aus – es hat keinen Sinn, mit seinem Freund über Bossi zu diskutieren.
Heute hat Caracciolo sein Liga- Hemd zu Hause gelassen. Schließlich ist heute die mächtige Demo zugunsten der nationalen Einheit angesagt, zu der die drei großen Dachgewerkschaften CGIL, CISL und UIL aufgerufen haben. Eine Million Menschen werden erwartet. Und das will sich auch Caracciolo nicht entgehen lassen.
Mit dem Vaporetto geht es also ins Zentrum, dann hinüber zur Insel St. Elena, wo ein riesiges Podium aufgebaut ist. Auf einzelnen Balkons weht die italienische Tricolore. Manche Fahnen sind lediglich aus grünen, weißen und roten Handtüchern zusammengeklammert. „Also derart brauchen sie auch wieder nicht zu übertreiben“, murrt Ernesti trotz seiner Anti- Bossi-Einstellung: „Man muß denen in Rom nicht in den Arsch kriechen.“
Noch ärgerlicher wird der Kleiderfabrikant, als er die vielen Gewerkschaftsfahnen sieht, obwohl die ja zu erwarten waren. „Gerade die“, murrt Ernesti, „die sind ja zum großen Teil schuld an unserer Misere.“ Durch das ewige Lamentieren über den armen Süden hätten sie unkontrolliert Milliarden in den „Mezzogiorno“ geleitet, ohne daß dort irgend etwas Vernünftiges passiert sei, und das habe den italienischen Staat ruiniert. „All die Entbehrungen, die uns die Regierung jetzt zumutet, um zur europäischen Währungsunion zu kommen, sind Folgen dieser Gewerkschaftspolitik.“ Für solche Sprüche setzt Ernesti allerdings seine Stimme jetzt zu einem Flüstern herab – die Masse der Menschen, die sich die Lagunenpromenaden entlang zum Ort der Kundgebung wälzt, mag solche Statements wohl nicht hören.
Immerhin gelingt es Ernesti auf halbem Weg, ein paar Demo-Teilnehmer in eine Diskussion zu verwickeln – mit erstaunlichem Ergebnis. Vor allem die jüngeren Leute, bewehrt mit roten Gewerkschaftsfahnen, sehen durchaus ein, daß es so nicht weitergehen kann. „Aber wir wollen Föderalismus“ sagen sie, „nicht Sezession.“ Da allerdings geraten sie bei Ernesti gerade an den Richtigen. „So“, sagt er, „Föderalismus. Das sagt ja auch die Regierung. Nun erklärt mir einmal, was das sein soll.“ Die jungen Leuten sind etwas verwirrt. Offenbar ist „Föderalismus“ für sie eine Beschwörungsformel gegen Bossi, mehr nicht. Einer meint zu wissen, daß die Deutschen mit dem Föderalismus gutfahren.
„Ha“, lacht Ernesti, „einen solchen Föderalismus meint ihr? Wißt ihr, worin der liegt? Allein im Kulturellen. Weit vom fiskalischen und ökonomischen Bereich entfernt, der bei uns diskutiert wird.“ Er bleibt stehen und wird zum Verkehrshindernis, aber immer mehr Leute hören ihm zu: „Die Deutschen haben seinerzeit ihren Staat aus dem Zusammenschluß historisch gewachsener Königreiche und Fürstentümer geschaffen, da war dieser Föderalismus sozusagen obligatorisch. Wir Italiener haben den Nationalstaat durch Eroberung geschaffen – der Norden hat den Süden besetzt. Da regierten vorher die Bourbonen, die keinerlei organischen Staat geschaffen, sondern nur ausgebeutet hatten. In Mittelitalien herschte das Papsttum, auch nicht das Musterbeispiel einer modernen Gesellschaft. So kam nur der zentralistische Staat zustande, die Regionen Mittel- und Süditaliens haben bis heute keine definierbare Identität wie Bayern oder Sachsen oder Hamburg in Deutschland. Einen Föderalismus nach deutscher Art auf unseren Staat aufzupfropfen wäre wieder eine Kopfgeburt und unnütz.“
Ratlosigkeit bei Ernestis Zuhörern. Dann sieht Caracciolo seine Chance: „Gerade deshalb ist ja die Sezession die einzige Möglichkeit, oder?“ Ernesti ist fürs erste still. Er muß wohl überlegen, wie er aus dieser selbstgestellten Falle wieder herauskommt.
Auf der Insel sind inzwsichen die Redner eingetroffen. Sergio D'Antoni, Chef der Gewerkschaft UIL, verspricht mit sich überschlagender Stimme: „Italien wird immer vereint bleiben! Immer! Immer vereint! Für ein einiges Italien! Ungeteilt! Ein solidarisches Italien! Ohne Wenn und Aber!“ Nahezu die gleichen Sprüche können die mittlerweile 70.000 bis 80.000 Kundgebungsteilnehmer über Maxi-Bildschirme auch von den beiden Versammlungsorten in Mailand hören, wo sich am Domplatz und an der Piazza della Canone an die 800.000 Menschen versammelt haben und wo der Chef des größten Gewerkschaftsdachverbandes CGIL, Sergio Cofferati, ebenfalls ein „solidarisches, einiges, ungeteiltes Italien“ verspricht.
Ernesti legt die Hand hinter die Ohrmuschel und tut so, als müsse er aufpassen. „Sagt mal“, fragt er danach die Umstehenden, „täusche ich mich, oder haben die das Wort Sezession wirklich kein einziges Mal in den Mund genommen?“
Seine Frage bleibt unbeantwortet. Plötzlich ertönt die Nationalhymne. Ernesti singt nicht mit. Ihm verschlägt es eher die Stimme. „Ausgerechnet die Gewerkschaften“, murrt er, als die letzten Töne verklungen sind – „ausgerechnet die, die doch bisher nur die Internationale kannten!“ In Zeiten der Not ändert sich wohl manches. „Sei doch zufrieden“, sagt ein älterer Teilnehmer, der unter der Fahne der Ex-Partisanen-Brigade „Garibaldi“ steht: „Immerhin haben wir es geschafft, die Rechte einmal so richtig auszustechen.“
Tatsächlich haben sich gerade die Herolde des starken Zentralstaats, die Neofaschisten und die Forza Italia, der Demonstration verweigert – mit den Gewerkschaften wollen sie noch immer nichts zu tun haben. Damit haben sie der Linken, allen voran dem mitmarschierenden Linksdemokratenchef Massimo D'Alema, das Feld überlassen.
Ernesti kehrt wieder zu seiner Frage nach der Erwähnung der Sezession zurück. Er hat sich nicht getäuscht. Allenfalls bei ein paar Vorrednern ist das Wort herausgerutscht, sonst aber scheint es hier ein Tabu zu sein. Die Gewerkschaften, die 15 Sonderzüge und 350 Busse zur Verfügung gestellt haben, haben ihren Leuten eingehämmert: Wir demonstrieren nicht gegen die Liga, sondern für die Einheit. Also: keine Polemik, keine Verteufelung, nur Gutes, Wahres und Schönes.
Zwar hat die Politik der ostentativen Nichtbeachtung zunächst dazu beigetragen, daß verschiedene demonstrative Akte der Liga oder ihrer Anhänger nicht die Schlagkraft bekamen, wie sie etwa eine massive Polizeiaktion geschaffen hätte. Als Umberto Bossi voriges Jahr die Millionen zur Proklamation der „Republik Padania“ rief, reiste Regierungschef Prodi demonstrativ ins Ausland – und dann kamen zu Bossi gerade einmal ein paar zehntausend Leute. Und als eine Handvoll jugendlicher Liga-Anhänger mit einem selbstgebastelten Panzer die Piazza San Marco in Venedig besetzte und den Campanile enterte, gab es eher milde Gerichtsurteile.
Nun dürfte jedoch sicher sein, daß die Liga weiter eskalieren wird. Bossi hat mittlerweile den Norditalienern empfohlen, die Tricolore „aufs Scheißhaus zu hängen“. Erst nach Tagen und eher halbherzig leitete die Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Verunglimpfung von Hoheitssymbolen ein, das vermutlich bald wieder eingestellt wird. Und als Staatsprädident Oscar Luigi Scalfaro vergangene Woche im grenznahen Gorizia den 50. Jahrestag der Rückkehr der Stadt unter italienische Herrschaft feierte, pfiffen zwei Dutzend Liga-Anhänger die Nationalhymne aus. „Und was ist danach geschehen?“ fragt Ernesti. „Die Gorizianer wollten die Liga- Burschen verhauen, und die Polizei hat die Burschen mit einem Pferdekordon geschützt. Weiter nichts.“
So wartet die Liga weiter darauf, daß ihnen die Regierung einen Märtyrer schafft. Und die Regierung wartet darauf, daß die Liga beim Warten einschläft. „Gelöst wird auf diese Weise aber überhaupt nichts“, sagt Ernesti. „Und auf die plötzliche Eruption, wie damals beim Terrorismus vor zwanzig Jahren, warten wir täglich.“
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