■ Die Gewaltwelle in Albanien nutzt Exdiktator Berisha: Fatale Entwicklung
Albanien macht wieder einmal Schlagzeilen. Und wieder einmal sind es keine guten. Da streckt ein Abgeordneter der regierenden sozialistischen Partei einen Oppositionspolitiker mit mehreren Schüssen nieder, nachdem sich beide bereits zuvor im Parlament geprügelt hatten. Kurze Zeit später fliegt das Parteibüro der Sozialisten in Shkodär in die Luft.
Daß Gewalt zivilisierte Formen der politischen Auseinandersetzung verdrängt, ist schon dramatisch genug. Noch schwerer aber wiegt, wie diese Vorfälle für politische Zwecke instrumentalisiert werden. Daß sich hierbei der neue Oppositionsführer Sali Berisha besonders hervortut, verwundert kaum. Denn anders als in Bulgarien, wo die Notwendigkeit eines Wiederaufbaus des Landes Regierung und Opposition zusammenschmiedete, hat es diesen Konsens in Albanien nie gegeben. Und Berisha, der nur unter größtem Druck von seinem Präsidentenamt zurücktrat, hat nie ein Hehl daraus gemacht, sich mit dem Machtwechsel nicht abfinden zu wollen. Wenn er jetzt davon spricht, daß hinter der Wahnsinnstat des Abgeordneten sozialistische Spitzenpolitiker stehen, und die Bevölkerung zu täglichen Anti-Regierungs-Demonstrationen auffordert, beweist das eins ganz deutlich: Die „Demokraten“ sind notfalls um den Preis von Gewalt und erneutem Chaos bereit, das Ergebnis der Parlamentswahlen vom Juni auszuhebeln. Von Wahlen, die von der OSZE, wenn auch mit Einschränkungen, das Güteseigel „frei und fair“ erhalten hatten.
Die Folgen könnten für Albanien fatal sein. Denn die neue sozialistische Regierung steht nicht nur vor der schwierigen Aufgabe, die Institutionen zu reformieren, die Wirtschaft anzukurbeln und im Süden des Landes die Waffen einzusammeln. Mindestens genauso wichtig ist es, demokratische Spielregeln im Bewußtsein sowohl der Bevölkerung als auch der Politiker zu verankern. Dieser Prozeß ist jetzt massiv in Frage gestellt.
Daß die Sozialisten ihren schießwütigen Parteigenossen sofort aus dem Parlament ausgeschlossen haben und jetzt die Staatsanwaltschaft ermittelt, deutet zumindest darauf hin, daß es die neue Regierung mit ihrem Versprechen ernst meint, einen neuen politischen Stil in Albanien einzuführen. Ob diese Sanktionen allerdings ausreichen, solche Exzesse künftig zu verhindern, ist fraglich. Und eines ist schon jetzt klar: Berisha wird bald die nächste Lunte legen. Barbara Oertel
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