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„Mal flitzen ist schon cool“

Statt als billige Arbeitskraft in der Spülküche zu stehen, wollen Lehrlinge lieber Spitzenköche werden. Doch in Hotels und Gaststätten ist eine gute Ausbildung selten  ■ Von Constanze von Bullion

Im „Kaiserhof“ ist mal wieder tote Hose. Der Chef hat einen sitzen, ein paar wortkarge Hotelgäste hängen am Tresen, da kippt er sich noch einen Wodka hinter die Binde. Schmeckt zwar nicht das Zeug, aber ist wenigstens umsonst. Als der letzte Gast endlich geht, pinselt Tom Schreiber* noch mal durch die Aschenbecher, schaltet das Radio ab und fährt nach Hause. Und da knallt es dann. Daß er erst 17 ist, zetert seine Mutter, daß er keinen Abend vor 23 Uhr heimkommt und dazu noch sternhagelvoll ist. Den Schuppen, in dem der Azubi 13 Stunden täglich am Zapfhahn steht, haben Toms Eltern verklagt. Lernen kann der zukünftige Hotelfachmann hier sowieso nichts.

In Handwerk und Gewerbe häufen sich die Prozesse wegen lausiger Schulung und Mobbing von Azubis, sagt Peter Kierzek von der Industrie- und Handelskammer in Berlin. Und das, obwohl jeder froh sein muß, der überhaupt einen Platz kriegt. Mehr als 150.000 Jugendliche gehen diesen Herbst leer aus beim Ausbildungsroulette. In Berlin nehmen acht von zehn Betrieben gar keine Berufsanfänger. Um das zu ändern, gibt es in der Hauptstadt bis zu 10.000 Mark für jede neue Lehrstelle. Ein Versuch, aber auch eine Gefahr für die Qualität der Lehre, weiß Kierzek: „Um an das Geld zu kommen, wollen jetzt schon Würstchenbuden einen Koch ausbilden.“

Nur jeder zweite will in der Branche bleiben

Trotzdem: Besser ein Gesellenbrief als sofort arbeitslos, sagen die Ausbilder. Und verzweifeln gleichzeitig an der flauen Motivation ihrer Schützlinge. Besonders hoch ist die Abbrecherquote im Hotel- und Gaststättengewerbe. Nur jeder zweite Azubi will später in der Branche bleiben. Kein Wunder. In kaum einem anderen Berufszweig wird dem Nachwuchs so wenig Fachwissen vermittelt.

„Als ich zum ersten Mal im Service eingesetzt wurde“, erzählt Kerstin Hinrichs, „da kamen über 60 Gäste zum Essen. Ich sollte das Büfett aufbauen, bedienen, Kaffee machen. Und keiner hat mir was erklärt. Da lernt man überhaupt nichts.“ Die 18jährige zündet sich die nächste Zigarette an. Es gibt niemanden, der nicht raucht im Aufenthaltsraum des Hotels „Kurfürstendamm“. Leere Tassen stapeln sich, Azubis in verkleckerten weißen Jacken haben die Füße hochgelegt. Die meisten werden Hotel- und Restaurantfachleute, viele sind nur für ein paar Monate ins Ausbildungszentrum gekommen. Aus Kantinen, wo nur Fertiggerichte gekocht werden. Aus Frühstückspensionen ohne warme Küche oder aus Gaststätten, wo keiner weiß, wie man eine Hochzeitstafel deckt.

Kerstin Hinrichs mag den Laden an der Westberliner Flaniermeile. „Topp“ seien hier die Ausbilder, „voll lustig“ die 300 Azubis. Der Betrieb, in dem sie sonst arbeitet, ist zwar ein nobles Hotel. Aber bezahlt wird unter Tarif. Für Überstunden gibt es keinen Pfennig. Und auch wer schnell ist, meint sie, „wird ständig angemacht“. Von „Sklavenlagern“ weiß ihre Freundin Susanne zu berichten. Als sie antrat in einer Pension, lernten Praktikanten sie an, „die waren gerade zwei Wochen da“. Als die ersten Gabeln purzelten, „hat der Chef rumgebrüllt und mich fertiggemacht“. Dabei sieht die Abiturientin nicht aus, als wäre sie schnell aus der Fassung zu bringen. „Für die biste eben nur eine billige Arbeitskraft“, sagt sie achselzuckend.

In den Hotels der Hauptstadt sind nur noch 60 Prozent der Betten belegt. Gespart werde vor allem beim Personal, oft ersetzten Lehrlinge vom ersten Tag an fehlendes Fachpersonal, sagen die Ausbilder in der Küche des „Kurfürstendamm“. Statt rundum geschult zu werden, putzen manche Azubis monatelang nur Zimmer, schnippeln Gemüse oder werden zum Dauereinsatz in der Spülküche abgestellt. „Wir können nicht davon ausgehen, daß die irgendwas wissen, wenn sie herkommen“, sagt Lehrkoch Dirk Dunkel mit einer resignierten Kopfbewegung in die Runde.

Ein paar junge Männer stehen um einen halben Meter Roastbeef herum. Der Koch packt das Fleisch in ein filigranes Fadennetz ein, läuft zum nächsten Tisch und läßt die Jungköche einen Bottich Remoulade passieren. Nebenan werden, mittlerweile im dritten Anlauf, Schupfnudeln gerollt. „Gleichmäßig an den Ecken!“ ruft Dunkel. „Scheißteig“, brummelt einer zurück. „Leidenschaft“, meint der Ausbilder, „denen fehlt die Leidenschaft.“

Die Jungs unter den Papiermützen nehmen's gelassen. Sie absolvieren im Hotel „Kurfürstendamm“ einen Förderlehrgang für sozial Benachteiligte. Etliche haben die Schule geschmissen oder eine Lehre abgebrochen. Und wenn hier genölt wird, dann nicht über zuviel, sondern über zuwenig Arbeit. „Zu fünft zehn Kartoffeln schälen, das bringt's nicht“, sagt einer. „Mal losgeschickt werden und flitzen ist schon cool“, bestätigt ein anderer. Langeweile sei das schlimmste, finden alle und wünschen sich mehr Verantwortung und Selbständigkeit.

Doch daß der Wind auf dem freien Lehrstellenmarkt viel kälter bläst als im Hotel „Kurfürstendamm“, wissen sie längst. Bernd zum Beispiel hat 60 Bewerbungen geschrieben. Ergebnis: 20 Gespräche und kein Job. Ömer hat 50 Briefe losgeschickt, nur ein einziger Betrieb wollte ihn sprechen. „Türke oder so muß nicht sein“, kommentiert ein Kumpel. Philipp dagegen holte sich mit drei Bewerbungen drei Termine, suchte sich das schickste Lokal raus – und schmiß nach drei Monaten alles hin. „Immer nur rennen“, sagt er, „das war nichts für meinen Körper.“ Kopfschmerzen, Kreislauf, Kummerpickel: die Ausbilder können den Kanon der Unpäßlichkeiten rauf- und runtersingen. Auch heute ist die halbe Kochgruppe krank geschrieben. „Manchmal weiß ich nicht mehr, was ich machen soll“, sagt Wilfried Braun.

„Lächeln, lächeln, lächeln“ heißt die Parole

Die fehlende Disziplin der Lehrlinge macht dem schnauzbärtigen Kochprüfer deutlich mehr zu schaffen als alles andere. „Morgens in sauberer Kleidung in der Küche zu stehen. Schon das klappt nicht“, sagt er. Und daß der Unwillen mancher Lehrlinge wächst, hat er am eigenen Leib erfahren. Ein Azubi, den er vor versammelter Mannschaft kritisierte, boxte gleich neben seinem Ohr ein Loch durch die Tür. Und dem Kollegen Dunkel flog neulich ein Berichtsheft an die Stirn.

Im Hotel „Kurfürstendamm“ sind es vor allem junge Frauen, die sich entschlossen haben durchzuhalten. Mit der Klobürste in der Hand macht sich im dritten Stock Helena Richter über das her, was der letzte Gast auf dem Toilettenrand zurückgelassen hat. „Muß ja 'ne stürmische Nacht gewesen sein“, sagt sie lakonisch und versprüht eine Ladung Putzmittel. Kondome aufsammeln, Waschbecken wischen oder Betten abziehen will sie bestimmt nicht ihr Leben lang. „Erst mal ins Ausland gehen“, hat die 21jährige Realschulabsolventin sich vorgenommen: „Und dann mal sehen.“

Die einen träumen vom Job auf einer Yacht, andere vom eigenen Cateringservice, etliche Gastro- Azubis sehen ihre Ausbildung nur als Durchgangsstation. Zukunftsperspektiven gibt es immerhin noch beim Tourismus; und Serviceleistungen sind gefragter denn je. Dem ruppigen Berliner Naturell kommen die Tätigkeiten an der Repräsentierfront allerdings nicht unbedingt entgegen. „Lächeln, lächeln, lächeln“ heißt die Parole – vor allem im sogenannten Kontaktbereich. „Wenn solche Stinker ankommen, muß ich freundlich bleiben“, faßt eine zusammen, die kürzlich den Servicelehrgang durchlaufen hat. Jetzt will sie ihr Englisch aufmöbeln, das an der Berufsschule nicht gelehrt wird.

Dabei sind Sprachkenntnisse in den besseren Häusern längst Voraussetzung. Wer im „Kempinski“ anheuern will, sollte Mittlere Reife oder Abitur haben, fließend Englisch und möglichst eine zweite Fremdsprache sprechen. „Ein paar Worte Japanisch wären nett“, erläutert Personalchefin Kay Winter, auf deren Tisch pro Tag zehn Bewerbungen landen. Ausgesiebt wird hier je nach Ausstrahlung. Zum „gewissen Etwas für den Beruf“ zählt sie vor allem „die Begeisterung für die Dienstleistung, die sieht man in den Augen“. Wer im 70er-Jahre-Kleidchen daherkommt, fällt ebenso durch wie eine Bewerberin, die die Zeitung noch nicht gelesen hat. Mit anderen Worten: „Wenn jemand nicht weiß, wer Herr von Pierer ist, dann habe ich ein Problem.“

Dienstbeflissen, gebildet und schnell muß das Personal von morgen sein. Daß die formvollendete Bedienung der alten Schule dabei auf der Strecke bleibt, kann allerdings so mancher Ausbilder immer noch nicht akzeptieren. Im Hotel „Kurfürstendamm“ ist das Menü inzwischen im Restaurant gelandet. Einschenken von rechts, anbieten von links, Norbert Zippel ist das raffinierte Handwerk des Oberkellners in Fleisch und Blut übergegangen. „Verkaufsgespräch“ nennt er den persönlichen Schnack mit den Gästen, auf den er nicht verzichten will. „Wieder gesund, Herr Schmidt, heute einen Aperitiv vorneweg?“ Herr Zippel weiß, daß seine Kunstfertigkeit aus der Mode gekommen ist. „Der Gast hat keine Zeit mehr“, bedauert er. „Aber die Leute, die heute das schnelle Geld verdienen wollen, greifen morgen wieder auf Fachkräfte zurück.“

Bei McDonald's kennt niemand 15 Bestecksorten

Es klingt ein bißchen trotzig, das Bekenntnis zu den behäbigen Traditionen des Berufsstandes. Seit Fast-food-Ketten auf dem Vormarsch sind und am liebsten im Vorbeigehen gegessen wird, muß eine Servicekraft nicht mehr 15 verschiedene Bestecksorten benennen können. Und was für die einen eine schlampige Ausbildung ist, markiert für andere den Weg in die Zukunft. Auch wer bei „McDonald's“ arbeitet oder sich bei „Pizza Hut“ um die Abrechnung kümmert, soll nicht mehr ohne Qualifikation dastehen. „Fachmann für Systemgastronomie“ heißt der postmoderne Beruf, den Azubis ab nächstem Jahr erlernen können. Der Berliner Volksmund hat auch dafür schon einen Namen gefunden: Pommesverkäufer mit Diplom.

Tom Schreiber übrigens, der sich im „Kaiserhof“ regelmäßig einen angesoffen hat, lernt inzwischen woanders weiter. Er hat seinen alten Chef angezeigt und der ihn auch. Was den jungen Mann wenig beeindruckt. Zu meckern traut er sich immer noch, zum Beispiel über den Arbeitsbeginn in der Großküche, wo er jetzt in den Töpfen rührt. Schichtbeginn um 4 Uhr morgens, das findet Tom „echt zu früh“. Und wenn alles vorbei ist? Kochen natürlich. Aber dann nach eigenem Rezept.

*Namen aller Lehrlinge geändert

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