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Mehr Kafka in der Straßenbahn

■ Bremer design gruppe jung zeigt Unternehmens- und Stammesschmuck in der Securitas

Hätten Sie gedacht, daß die Schildchen an den Straßenbahnhaltestellen – ja genau, diese jungfräulich weißen, lediglich von ein bißchen Blei und Teer zart umflorten Tafeln mit dem bundesweit gültigen grünen H auf gelbem Grund (universal wie sonst nur das McDonalds-M), die durch ihre auffällige Unauffälligkeit das Auge ergötzen – Produkt einer beachtlichen Designanstrengung sind, mit allem, was zu einer eben solchen dazugehört, also mit Wettbewerb, heißem Konkurrenzkampf, bösen Überraschungen für die Sieger usw.?

Die Täfelchen stammen von der Design Gruppe Jung, oh Verzeihung, welch böser Fauxpas: von der „design gruppe jung“. Die Stangen mit dem dünnen roten Finger obendrauf – was, die roten Finger haben Sie noch nie bemerkt – von einer anderen Agentur. So komplex ist heute Design: Stäbchen hier, Täfelchen da.

Zu den Tramtäfelchen könnte man jetzt sagen, daß da halt eben genau das drauf steht, was naheliegenderweise drauf stehen sollte: der Name der Haltestelle, die Nummern der haltenden Trams, die Endstationen der haltenden Trams. Woher kommen sie? Wohin gehen sie? Was ist der Sinn des Lebens überhaupt – aber das gehört jetzt wohl nicht hierher.

Auge in Auge mit einer Tramtafel stehend, könnte man aber auch gaaaanz anders sprechen. Man könnte referieren über „Kommunikationsdesign“, über die Entwicklung raffinierter „Leitsysteme“, die in einer immer komplizierter werden Zeit einem hilflos dem Chaos ausgesetzten Ich eine letzte Orientierung ermöglichen.

Ja diese Designer. Ein seltsames Völkchen, das sich endlos über die Serifenlänge beim Buchstaben a oder dem Krümmungswinkel der Schlaufe beim Buchstaben g streiten kann und noch die gräßlich-einfallslosesten Firmenlogos durch metaphorische Referenzen aufmotzen.

Die Securitas-Versicherung zeigt Arbeitsproben der design gruppe jung. Neben übervorsichsichtigen, nur ja jede Kritisierbarkeit unterbindenden Lösungen wie eben jenen Tramtafeln, die erst im Strudel von Deutungsblabla ein wenig zu glimmen beginnen, gibt es auch sehr viele spannende „Produkte“zu sehen. Für die gute, alte, innig zu liebende Büchergilde Gutenberg, gestaltete Eckhard Jung eine Ausgabe von Kafkas Schloß, die viel mehr ist als Verpackung: nämlich Interpretation. Der Satzspiegel unterliegt einem sukzessiven Schrumpfungsprozeß und treibt den armen K. gewaltig in die Enge. Die Buchseite wird als Aussageträger lebendig. Der Umschlag gibt durch ein transparentes Fenster einen Durchblick frei – auf schwarze Leere und ein ins äußerste Eck weggedriftete Wort: „Kafka“. Schade nur, daß eine lieblose Plazierung den Gag dieser Layout-Idee verstümmelt: Und so ein Präsentationsdefizit ausgerechnet bei einer Designausstellung!

Für eine dieser Kuddelmuddel-Sammel-Ausstellungen konzipierte Jung ein Poster, das das Bildmaterial zu einem Muster zusammenzwang, einem wunderschönen, leichten Streifenmuster. Fast so etwas wie ein graphisches Bekenntnis zur Postmoderne: viele differente Positionen enden nicht im Durcheinander, sondern lassen sich zu sinnstiftenden Einheiten organisieren.

Am allerschönsten aber ist das Plakat zur Ausstellung: wieder eine innige Verschlingung von Form und Inhalt. Eine raffinierte optische Spielerei mit Streifen zwingt das Auge zum Operieren auf zwei Ebenen – und erzählt vom Sehen und vom Denken hinter dem Sehen. Wahrnehmen ist nichts Selbstverständliches: sagen die Streifen, der Text, die Ausstellung.

Von einer Auflösung tradierter Gestaltungsnormen wie sie David Carsson betreibt, also just for fun, hält Jung wenig. Normdurchbrechung interessiert ihn nur, wenn eine klare Aussageabsicht dahinter steckt. Zum taz-Layout verweigeret er charmanterweise jede Äußerung. Immerhin schimpft er zu unserer großen Freude auf das zerfledderte „billige“Focus-Layout. Kein Wunder: Im Gegensatz zu dieser widerlichen Zuschüttästhetik leben viele Jung-Arbeiten vom Rhythmus der vielen Leerflächen.

Übrigens hat die Vokabel „tribalistisch“auch in die Designdiskussion Einzug gehalten: Heute gebe es nicht mehr „das“Design, sondern viele Stammes-Designs. Dem Eingeborenenstamm der Tageszeitungsleser prophezeit Jung ein Festhalten an der klassischen Spaltenaufteilung und der strikten Abgrenzung von den Fanzines-Text-Bild-Verwirbelungen. Er ist sogar bereit einen Jack Daniels daraufzu verwetten. Den sollte er doch hiermit verspielt haben. bk

Am Wall 121, bis 9.11

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