: Ein Seitensprung als Notwehr gegen Erniedrigung
■ Reform in Italien: Sexuelle Untreue muß nicht schuld sein am Scheitern einer Ehe
Rom (taz) – Italiens oberstes Gericht, die Kassation, hat sich in der letzten Zeit einen Ruf als entschlossene Erneuerungsinstitution des Rechts erworben – ob es nun um die Definiton von Vergewaltigung ging, die für das Gericht bereits weit vor dem vollendeten Geschlechtsverkehr beginnt, oder um eheähnlichen Verbindungen von gleichgeschlechtlichen Partnern. Jetzt hat das Gericht in einem neuen Urteil geregelt, was der Gesetzgeber seit zwei Jahrzehnten in mehreren Anläufen nicht geschafft hat: die Frage, ob der Geschlechtsverkehr mit einem anderen als dem eigenen Ehepartner als solcher bereits die Schuld am Scheitern einer Ehe begründet. Nein, sagen die Oberrichter, das allein genüge nicht. Im Gegenteil, so die Richter, mitunter könne außerehelicher Geschlechtsverkehr bei einer verheirateten Person auch ein geradezu unabdingbares Mittel sein, das eigene Selbstwertgefühl zu reparieren. Eine Art Notwehr also.
Denn andererseits, so der Spruch weiter, gebe es sehr viel andere Arten, die Ehe zu brechen und irreparabel zu schädigen, bei denen Sex überhaupt nicht im Spiel sein müsse: Erniedrigungen, ostentative Gleichgültigkeit, Flucht vor den gemeinschaftlichen Aufgaben von Eheleuten, vor allem aber der schwere Bruch des Vertrauens, das das Fundament jeder ehelichen Gemeinschaft sei: „Es reicht, die Gefühle und die Würde des anderen permanent zu verletzen.“
Italien hat noch immer das traditionelle Scheidungsrecht, nach dem bei der Auflösung einer Ehe zunächst der Schuldige ausgemacht werden muß; danach bemessen sich dann die Folgelasten und -rechte, vor allem die Unterhaltszahlungen, das Sorgerecht für die Kinder. Im konkreten Fall hatte eine Frau gegen den Spruch sowohl der ersten wie der zweiten Instanz geklagt, nach dem sie aufgrund von sexuellen Beziehungen zu einem anderen Mann die Schuld am Scheitern der Ehe trage. Die Frau hatte geltend gemacht, daß ihr Mann durch sein Verhalten sie geradezu systematisch aus der Ehe getrieben habe: mehrere schwere Vertrauensbrüche, Herabsetzungen vor den Augen Dritter.
Die Richter gingen aber noch einen Schritt weiter: Scheidungsrichter, so der Spruch, dürften auch nicht erst darauf warten, daß der Beschuldigte die Gegenrechnung mit dem Partner aufmache – vielmehr müßten die Richter ihrerseits vor jeder Scheidung prüfen, ob nicht auch der andere Partner das Scheitern der Ehe mit- oder gar alleine verursacht habe.
Damit wird nach Ansicht besonders von Frauenrechtlerinnen einem gängigen Mißbrauch bei Scheidungsprozessen ein Riegel vorgeschoben: daß nämlich derjenige mit dem besseren Anwalt, in der Regel der ökonomisch potentere Mann, dem anderen Partner die Schuld zuschieben kann. „Da die Richter nun verpflichtet sind nachzuprüfen“, so die Anwältin Annamaria Bernardi Della Pace, „haben auch finanziell schwächer gestellte Frauen eine Chance, zu ihrem Recht zu kommen.“
Für Zivilverteidiger, die in Italien wie in anderen Ländern ein Gutteil ihres Einkommens aus Scheidungsprozessen beziehen, könnten damit magere Zeiten heraufdämmern. „Wahrscheinlich“, frohlockt die feministisch aktive Fernsehmoderatorin und Schauspielerin Alba Parietti, die gerade einen Film zum Thema abgedreht hat, „werden sich all jene, die bisher geglaubt haben, mit einem Wortschwall oder ein paar Privatdetektiven und einem Top-Anwalt den Partner aus der Ehe zu drängen, doch zweimal überlegen, ob sie sich der Gefahr aussetzen, vom Gericht als pflichtvergessener Ehe-Widerling entlarvt zu werden.“ Ob es den Ehen insgesamt besser bekommt, wenn zerrüttete Ehen aus Angst vorm Aufkommen nicht mehr geschieden werden, vermag allerdings auch Alba Parietti nicht zu sagen. Werner Raith
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