piwik no script img

Der Geist der Brombeere

Wein aus Äpfeln, Birnen oder Quitten: Ein Hamburger Obstwinzer kreiert seinen „Zaubertrank – durch und durch ökologisch“  ■ Von Heike Haarhoff

Im Regal hockt ein gläserner Torso neben dem anderen. Die Hälse sind mit Gummipfropfen abgedichtet. Aus denen ragen nur noch schmale Plastikrohre heraus, die „Gäraufsätze“. Durch sie entweicht allenfalls Kohlensäure, die aus dem Innern der Kugelbauchflaschen aufsteigt. Drinnen wabert und blubbert und reagiert es in grün und gelb und rot – je nachdem, ob gepreßte Äpfel, Birnen oder Brombeeren gerade ihren Zustand von Frucht in Wein wechseln.

Dem Boden des Glasflaschenbauchs, den der Hamburger Obstwinzer Hans-Georg Schaaf auch fachmännisch „Demijohn“nennt, entspringt ein Schlauch. Schlaff hängt er in der Gegend rum. Schaaf dreht ihn auf. Eine „1995er Quitte, gewachsen auf Marschenboden“, tropft ins Glas. Herb, mit einem leicht zitronigen Beigeschmack. Später, zum Vergleich, die 96er Quitte von der Geest. Der mit Obstweinen wenig vertraute Gaumen registriert keinen großen Unterschied. „Macht nichts, kommt noch“, beruhigt Schaaf.

Schließlich hat er selbst auch 20 Jahre gebraucht, um vom Hobby-Obstwein-Panscher, pardon, -Hersteller zum professionellen Weinkenner, -fabrikanten und Besitzer eines Öko-Lädchens in Barmbek aufzusteigen. Dort wird der 38jährige seinen „Zaubertrank“ab dem 1. Oktober vermarkten.

Und zwar „durch und durch ökologisch“, betont der gelernte „Koch, Küchenmeister und Diätkoch“. Obst, das irgendwie chemisch behandelt wäre – selbst Schwefel ist tabu –, kommt bei Hans-Georg Schaaf gar nicht in die Flasche. Statt dessen schreibt er genau drauf, was drin ist, zum Beispiel, daß der äußerst trockene „Horneburger Backapfel“, nach dessen Genuß ein hypersüßes Vanillelikörchen durchaus angebracht ist, aus dem Garten der Familie B. aus F. stammt. Oft nämlich bekommt Hans-Georg Schaaf das Obst „von privat“. Von Menschen, „häufig älteren, die es einfach nicht mehr schaffen, ihr Obst selbst zu verarbeiten“. Wenn die anrufen, ist Hans-Georg Schaaf zur Stelle und verwandelt die Früchte in Wein. Einen „Eigenanteil“erhält der Obstgartenbesitzer, den Rest vermarktet Schaaf.

Dazwischen aber liegt ein langer Weg: Die Früchte, derzeit saisonbedingt bevorzugt Äpfel, Birnen und Quitten, müssen gerieben, gepreßt und entsaftet werden. „Bloß nicht heiß, sonst sind die Inhaltsstoffe futsch.“Anschließend wird das flüssige Obstkonzentrat im Demijohn, dem gläsernen Torso, mit Reinzuchthefe aus der Apotheke angesetzt. Zwei Kilo Obst ergeben etwa einen Liter Wein. Wahlweise schüttet Schaaf noch Zucker hinzu – je nachdem, ob es ein „kurzfristiger“Wein (zuckerfrei und für Gäste, 8 Mark die Flasche) oder ein ganz edler Tropfen (bis zu 25 Mark), der „noch zehn bis 20 Jahre hält“, werden soll. „Die Hefe frißt den Zucker“, erklärt der Weinhändler. Soll heißen: Ist nix Süßes mehr da, sterben die Hefebakterien ab, und der bislang trübe Wein klärt sich. Ein gutes Zeichen: Es kann gezecht werden.

„Ich finde, daß man den Leuten klar machen muß, daß Obst wieder einen Wert hat“, redet sich der Obstwinzer jetzt warm. Lange ruht der Blick auf der Flüssigkeit in den Bauchflaschen. Aber die will einfach nicht nicken. Also fährt Schaaf allein fort. Erzählt, daß „man Bäume nicht fällen darf“, daß aber „viel zu viel Leute ihre Ernte vergammeln lassen, weil sie es einfach nicht mehr schaffen“. Und da fällt ihm wieder dieses Projekt ein, das schon so lange in seinem Kopf herumgeistert, eigentlich seit ein paar Jahren, seit er selbst arbeitslos wurde: „Wenn der Laden hier ein bißchen läuft“, schwört sich Schaaf, wird er „ein paar Langzeitarbeitslosen eine Perspektive geben“. Die will er dann „für eine Mark Pflückerlohn pro Kilo“engagieren. Denkbar sei auch „so ein Service, wo wir die alten Bäume verschneiden“.

Am späteren Gewinn mit dem Wein würden sowohl die Obststifter, die Arbeitslosen wie er als Unternehmer beteiligt. Zu welchen Teilen, ist noch unklar. In jedem Fall aber „zu gerechten“.

Zaubertrank, Winterhuder Weg 110, Tel.: 220 06 04

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen