: Freiwillige Freiwilligkeit?
■ Ist ehrenamtliches Engagement ein Ausweg aus der Krise? Podiumsdiskussion der Heinrich-Böll-Stiftung zum Ehrenamt
Alles Gute kommt aus Amerika: Der King of Rock'n'Roll, Kaugummis und seit einigen Jahren nun auch eine Gesellschaftstheorie namens Kommunitarismus. Der Wert von Elvis und Wrigley's ist unbestritten, der des Kommunitarismus – einer Theorie, die auf freiwilliges Bürgerengagement und Eigeninitiative baut, um den Umbau des Sozialstaats zu bewerkstelligen – hingegen nicht.
Glaubt man Lothar Probst vom Bremer Institut für kulturwissenschaftliche Deutschlandstudien, dann rettet der Kommunitarismus moderne Gesellschaften vor dem gierigen Schlund des Neoliberalismus. Für die Mitarbeiterin von belladonna, Maren Bock, ist der Kommunitarismus hingegen vor allem eine Position mittelständischer Männer, die sich freiwilligen Bürgerelan leisten können, weil sie sich um die Kindererziehung nicht kümmern und keine Probleme mit der individuellen Altersvorsorge haben.
Aber irgendwo dazwischen, zumindest darüber waren sich Probst, Bock sowie Heinz Janning von der Freiwilligenagentur Bremen und Jutta Schmidt, Frauenbeauftragte der Bremischen Evangelischen Kirche, einig, liegt die Antwort auf die Frage: „Was die Gesellschaft zusammenhält? Ehrenamt vs. Arbeitsgesellschaft“. Wissen wollte das die Heinrich-Böll-Stiftung und hatte deshalb die vier für einen Nachmittag zu einer Podiumsdiskussion in die Villa Ichon eingeladen.
Not macht flexibel, große Not geradezu windschnittig. Der Sozialstaat sei in der Megakrise, wie das grüne Parteimitglied Probst feststellte, und deshalb gälte es die Frage neu zu diskutieren, in welchem Verhältnis Eigenverantwortung und staatliche Aufgaben stünden. Hört, hört, das muß man tatsächlich diskutieren? Vorbei also die Zeiten, als die Linke sich noch traute zu sagen, daß ein System, das permanent Krisen hervorruft, nicht das Eigelb sein kann, für daß es die Rechte schon immer gehalten hat. Aus Frankenstein wird nicht Richard Gere, nur weil man kräftig Schminke der Marke Bürgersinn aufträgt.
Auch Maren Bock von belladonna und die Frauenbeauftragte Jutta Schmidt betonten das, was Frauen anscheinend bis an ihr Lebensende betonen müssen, weil viele Männer es nicht kapieren wollen. Die Propagierung des freiwilligen gesellschaftlichen Engagements bei gleichzeitiger Beibehaltung des auf Männer zentrierten Erwerbmodells ist reaktionär. „z.B. ist die häusliche Pflege der Eltern“, so Bock, „zwar ehrenwert, aber erfolgt doch in aller Regel nicht selbstbestimmt, sondern strukturellen Zwängen.“Über die wollten die anwesenden Herren dann doch nicht so richtig reden. Die Frauen hätten, nickte Janning, ja recht, aber man müsse bei der Debatte ums Ehrenamt die Ebenen auseinanderhalten. Strukturen seien das eine, die Lust zum freiwilligen Engagement etwas anderes. Und eine gerechte Gesellschaft noch etwas ganz anderes.
zott
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