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Der Hinterhof ist zu schmutzig geworden

Frankreich betreibt die Reform seiner Afrikapolitik, schließt Militärbasen, verkündet die Nichteinmischung und holt deutsche Soldaten in die Region. Aber in Wirklichkeit ändert sich weniger, als es scheint  ■ Aus Paris Dominic Johnson

Spricht man heute mit französischen Politikern über Afrika, hört man erstaunliche Dinge. „Frankreich will nicht mehr der Gendarm Afrikas sein“, meint ein Verantwortlicher im Ministerium für Zusammenarbeit. Die Unterstützung Frankreichs für Zaires Diktator Mobutu war ein „Fehler“, verlautet aus dem Außenministerium. Nach Jahrzehnten, in denen Frankreich seine ehemaligen afrikanischen Kolonien als Hinterhof betrachtete, Beamtengehälter bezahlte, Armeen kommandierte und Regierungen nach Belieben einsetzte und ablöste, wird zur Zurückhaltung geblasen.

Präsident Jacques Chirac hat die Nichteinmischung zum Kern einer neuen Afrikapolitik erklärt. Die 8.000 Soldaten in sechs Ländern umfassende Militärpräsenz wird um 40 Prozent verringert; die Zentralafrikanische Republik, lange Zeit Drehscheibe französischer Militäroperationen in Zentralafrika, soll sogar ganz ohne französische Soldaten leben. Demnächst lassen sich erstmals deutsche Soldaten in Gabun ausbilden. Für Februar 1998 sind Briten und US-Amerikaner zu einem Manöver in Westafrika eingeladen.

„Die Politik ist dabei, sich zu verändern“, erklärt Jean-Claude Ford, Kabinettsdirektor des für die Afrikapolitik zuständigen Ministeriums für Zusammenarbeit in Paris. „In der Vergangenheit konnte sie ein wenig verkrampft erscheinen, bestimmt von der Geschichte und den traditionellen Beziehungen zu einer gewissen Anzahl Länder. Das hat uns daran gehindert, offensichtliche Entwicklungen in Afrika besser zu verfolgen. Schwerfälligkeit hat dazu geführt, daß Frankreich einige Chancen verpaßt hat.“ Ein Beispiel: Das „Klammern“ an Mobutu.

Und was folgt daraus? „Wir sind bereit“, fährt Ford fort, „mit erwachsenen Ländern zusammenzuarbeiten, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.“ Dann setzt er ein gönnerhaftes Gesicht auf und erklärt: „Es gibt viele erwachsene Länder in Afrika. Alle Länder in Afrika sollten erwachsen werden.“ Der alte Paternalismus ist eben auch noch da.

Die Debatte um Afrika in Frankreich zeigt das gespaltene Bewußtsein einer Politikerklasse, die das Scheitern des Alten ein wenig erahnt, aber etwas richtig Neues nicht wagt. Die „Fehler“ und „verpaßten Chancen“ sind nur ein kleiner Teil dessen, was sich in Afrika in den letzten Jahren abgespielt hat. In Ruanda unterstützte Frankreich ein Regime, das 1994 um des Machterhaltes willen zum Mittel des Völkermordes griff. In Zaire hielt Frankreich Mobutu noch für unersetzlich, als Kabilas Rebellen schon das halbe Land erobert hatten. Beide Länder gingen vorerst für Frankreich verloren. In der Zentralafrikanischen Republik griff das französische Militär 1996 und 1997 aktiv in die politischen Machtkämpfe ein – und zieht sich jetzt erfolglos in den Tschad zurück. Kongo-Brazzaville, wegen seines Öls ökonomisch wichtig, versinkt in einem blutigen Bürgerkrieg – und Präsident Pascal Lissouba, der sich von Frankreich fallengelassen fühlt, sucht Unterstützung beim Nachbarn Laurent Kabila. Selbst in Kamerun, Gabun und Tschad, die verbleibenden Bastionen Frankreichs in Zentralafrika, regt sich Kritik.

Afrika erlebt die Entzauberung des französischen Großmachttraums. „Der frankophone Mythos ist dabei zusammenzubrechen“, sagt François-Xavier Verschaves von der Dritte-Welt-Organisation „Survie“, ein scharfer Kritiker der französischen Politik. „Die Legitimität der französischen Präsenz wird nicht mehr anerkannt.“

Aber dies will Paris zumindest öffentlich nicht wahrhaben. „Wir ziehen uns nicht zurück, wir passen uns an“, erläutert im Außenministerium der zuständige Sprecher Yves Doutriaux und spricht von „Modernisierung“ und „Europäisierung“. Gefragt, ob Frankreich nicht aufgrund seines Scheiterns einfach abhaue, zögert er und sagt: „Ganz falsch ist das nicht.“ Nach den Lehren daraus gefragt, antwortet er: Man müsse Afrika „besser verstehen“. Vor allem will Frankreich seinen schmutzigen Hinterhof verlassen: Man müsse im nichtfrankophonen Afrika „viel präsenter sein“ und sich um die „neuen Regionalmächte“ kümmern: Uganda, Äthiopien, Südafrika.

Alles wird gut. Aber wird es auch anders? Im jüngsten Informationsbulletin des Ministeriums für Zusammenarbeit stehen die neuen Entwicklungshilfsprojekte des Sommers 1997: Fünf Millionen Franc für Polizei und Gendarmerie in Benin. Zwei Millionen für die Gendarmerie in Burkina Faso. Drei Millionen für die Gendarmerie in Kamerun. In Kamerun, führt das Bulletin aus, gehe es um den Kampf gegen kriminelle Banden auf den Überlandstraßen. Das sei der Regierung wichtig, „weil die Wahlen näherrücken und die Angriffe Unzufriedenheit bei der Bevölkerung auslösen“. Ein wenig Hilfe also für Präsident Paul Biya, der sich am 12. Oktober unter suspekten Bedingungen wiederwählen lassen will: Ein Gegenkandidat sitzt in Haft; eine unabhängige Wahlkommission gibt es nicht; die Regierungspartei monopolisiert die Staatsmedien.

Kamerun zeigt, daß der Satz noch gilt, mit dem Jean-François Bayart, Leiter des Zentrums für Internationale Studien (CERI) an der Universität von Paris, die Vergangenheit resümiert: „Frankreich hat seine Afrikapolitik mit alternden, ausgebluteten Regimen gleichgesetzt.“ Bayart sieht im ganz traditionellen Pariser Reflex in Kamerun die nächste, ganz traditionelle regionale Krise heraufkommen. Frankreich hätte „die Führung einer europäischen Initiative“ für mehr Druck auf Präsident Paul Biya übernehmen sollen und damit „aus der Hinterhoflogik heraustreten“ sollen, sagt er. Immerhin: Oppositionsführer John Fru Ndi, der zum Wahlboykott aufruft, wurde jetzt in Paris offiziell empfangen, und es gibt bisher keine Zusage für eine Wahlfinanzierung. Doch Druck auf Präsident Biya, die Wahlen demokratischer zu gestalten, sei „nicht angebracht“, führt Außenamtssprecher Doutriaux aus: „Wir sind nicht da, um zu moralisieren.“

Manches bleibt eben auch unverändert, weil sich etwas verändert. Die neue Politik der Nichteinmischung führt zu einer Privatisierung der Einflußnahme. Ein Beispiel ist der vor kurzem privatisierte Ölkonzern „Elf“, der von Kamerun über Gabun und Kongo nach Angola umfangreiche Afrika-Interessen verfolgt, über einen eigenen Geheimdienst verfügt und nach Überzeugung von Kritikern bis heute aktiv in die Politik einzelner Länder eingreift.

Die Regierung Jospin sei machtlos gegen die privaten Interessen von Ölfirmen und Armee, urteilt François-Xavier Verschaves: „Das System ist in eine Pyramide von fünfzehn verschiedenen Lobbys zerfallen.“ So bräuchte sich niemand verantwortlich zu fühlen. Wie nützlich das sein kann, zeigt die Antwort von Außenamtssprecher Doutriaux auf die Frage nach den französischen Söldnern, die in Zaire erfolglos gegen Kabila kämpften: „Frankreich ist nicht verantwortlich für das, was französische Bürger machen.“

Das hat nach Ansicht von Verschaves katastrophale Konsequenzen: Weil für private Aktivitäten niemand politisch geradestehe, breite sich eine Kultur der Straflosigkeit aus. „Jeder kann machen, was er will. Das führt zum Chaos und zum Genozid.“

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