: „Richtig scharfe Teile“
Bevor in Lichterfelde Wohnungen für Bundesbedienstete entstehen, bergen Archäologen in nur fünf Monaten Reste einer Siedlung aus der Bronzezeit von vor 3.000 Jahren ■ Von Barbara Bollwahn
„Das war garantiert eine Vorratsgrube“, sagt Gunnar Nath und steigt in ein etwa 1,30 tiefes Loch hinab. Er dreht sich nach allen Seiten und begutachtet die sandig-lehmigen Wände. „Das war wie ein kleiner Keller zum Lagern von Getreide und Gemüse“, erklärt der Archäologe. Er steigt aus der Grube heraus und blickt auf einige dunkle Flecken. Viel mehr ist eigentlich nicht zu sehen. Doch Nath ist Archäologe. Und Archäologen sehen anders. In den braun- schwarzen Flächen auf dem Boden erkennen sie Eckpfosten von Siedlungsgehöften, Vorrats- und Abfallgruben. Selbst wenn diese aus der Zeit von 600 bis 800 vor Christus stammen.
Seit August sind Archäologen, Erdarbeiter, Studenten und Baggerfahrer in Lichterfelde auf Spurensuche. In der Nähe des Teltowkanals, wo früher die Bläke floß, sollen Wohnungen für Bundesbedienstete entstehen. Pech für den Bauherrn, daß sich genau an der Stelle vor etwa 3.000 Jahren eine Siedlung aus der Bronzezeit mit Häusern aus Lehmflechtwerk und Strohdächern befand. In einem Kompromiß mit der Wohnbau GmbH wurden den Archäologen fünf Monate zugestanden, um die Stelle zu untersuchen und einen Strukturplan der Siedlung zu erstellen.
Die Zeit reicht nicht aus, um die gesamte 13.500 Quadratmeter große Fläche auszugraben. Deshalb versuchen die Archäologen mit Hilfe einer Prospektion – einem Querschnitt durch das gesamte Gelände in einer Tiefe von einem halben Meter – einen Überblick zu bekommen. Nur etwa die Hälfte der Fläche wurde mit Holzpflöcken in fünf mal fünf Meter große Quadranten eingeteilt. „Wir stehen unter Zeitdruck“, seufzt Grabungsleiter Gunnar Nath. „Bis zum Ende des Jahres müssen wir fertig sein.“ Archäologie auf Bauplätzen ist ein Wettlauf gegen die Zeit: Bisher wurden von den insgesamt 1.500 markierten Fundstellen in Lichterfelde erst 450 gesichtet. Obwohl in Siedlungen aus der Bronzezeit nach Angaben von Nath nur wenig Gegenstände zu finden ist, steht das Grabungsteam nicht mit leeren Händen da. Ob Feuerstätten, Vorratsgruben oder Webgewichte aus gebranntem Lehm zum Spannen von Webstuhlfäden – mit jedem Fundstück erfahren die Archäologen mehr über das Leben der Siedlung. Kürzlich wurde ein kleiner, aus Ton gebrannter Kegel gefunden. Weil die Archäologen noch nicht wissen, wozu er diente, steht auf der Plastiktüte „unbekanntes Keramikobjekt“. Nath freut sich über die „große Palette an Keramik“, die bisher gefunden wurde. Fühlen sich die Scherben rauh an, weiß er, daß es sich um Vorratsgefäße gehandelt haben muß, die außen aufgeraut waren, damit sie den Menschen nicht so leicht aus der Hand fielen. Ebenso unter den Funden sind Stücke aus feinem Ton – „wie bei uns das Sonntagsgeschirr“, sagt Nath. Bisher vergeblich suchten die Archäologen allerdings nach verbrannten Gegenständen. Bei verkohltem Holz könnten sie durch eine Kohlenstoffisotopenmessung das genauere Alter bestimmen.
Bei mehr Zeit würden die Archäologen vielleicht auf solch aufschlußreiche Holzreste stoßen. Der Kunsthistoriker Nils Ohlsen spricht von einer „Notgrabung“. Statt in drei Schichten nach Spuren des bronzezeitlichen Lebens zu suchen, müsse man sich auf eine Schicht beschränken. Doch Ohlsen will nicht klagen: „Man muß Kompromisse machen“, beschreibt er das Dilemma zwischen dem Interesse des Bauherrn, möglichst schnell Neues zu bauen und dem Interesse der Archäologen, möglichst Altes in aller Ruhe zu erforschen und bergen.
Ohlsen geht es nicht um Reichtümer – „Wir wollen kein Gold finden“. Er hofft trotz der Grabung „am Rande des Vertretbaren“ auf einen guten Gesamtplan über die Struktur der Siedlung. Immerhin ist die Grabung in Lichterfelde neben einer Stelle in Süddeutschland bundesweit der einzige Ort, an dem Archäologen an Siedlungen dieser Altersklasse forschen. Die Chancen für einen guten Überblick stehen am Teltowkanal nicht schlecht, weil das Gelände sehr groß ist. Doch Ohlsen befürchtet, daß noch Jahre vergehen werden, bis die Tausenden von kleinen und großen Keramikscherben zu Gefäßen zusammengesetzt sein werden. „Und nach fünf Jahren ist die Keramik in den Tüten nur noch Sand“, so seine Angst.
Eine Aussicht, die die studentischen Hilfskräfte nicht gerade ermutigt. Als „sehr mühsam“ beschreibt Stefanie ihre erste Woche. Die 25jährige macht auf dem zweiten Bildungsweg ihr Abitur und putzt in einem zweiwöchigem Praktikum mit einer Kelle so lange die Erde, bis Umrisse von Verfärbungen zu erkennen sind. Am Anfang sei sie enttäuscht gewesen. „Ich hatte an halbe Krüge geglaubt“, gesteht sie. Doch nachdem sie einige „richtig scharfe Teile mit Verzierungen“ gefunden und von den Archäologen einiges über die Bronzezeit erfahren hat, findet sie es „sehr spannend“. Die 38jährige Archäologin Christiane dagegen fand es vom ersten Tag an „sensationell“, weil Ausgrabungen bronzezeitlicher Siedlungen genauso selten sind wie sensationelle Funde aus dieser Zeit.
Für die richtig brisanten Funde sind ohnehin nicht die Archäologen zuständig, sondern die Männer von der „Kampfmittelräumung“, die ständig vor Ort sind. Während der Baggerfahrer die Schaufel vorsichtig in das Erdreich der ehemaligen Hauptkampflinie aus dem Zweiten Weltkrieg setzt, taxieren sie den Boden mit ihren Augen nach Bomben und Granaten. Was im Boden drinnen ist, weiß keiner. Ihr Arbeitsmotto gleicht dem der Archäologen: „Eher einmal mehr als weniger gucken.“
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