piwik no script img

Frühe Unschuld und späte erste Male

■ Restaurativer Blick zurück: Fritz Rudolf Fries' Debüt-Roman „Septembersong“

Leipzig gegen Ende der 50er Jahre. Ein Student verabschiedet seine Sommerliebe, und die Stadt legt ihre „internationale Verkleidung“an. Welt geht, Welt kommt. Eher zufällig wird der Student, Spanisch und Französisch fließend, an diesem Gastspiel als Dolmetscher teilnehmen. Als die große Warenmesse vorbei ist, hat er, Teil der „geistigen Elite“, seine Pläne geändert. Er faßt die Ehe ins Auge, mit einem Mädchen, das sein Bruder, ein erfolgreicher Arzt, geschwängert und sitzengelassen hat: „eine Fabrikarbeiterin, sechzehn oder siebzehn und ein wenig altmodisch in Gefühlsdingen“.

1957/58 von dem damals 22jährigen Leipziger Romanistikstudenten Fritz Rudolf Fries geschrieben, erzählt Septembersong von einer Gruppe ziemlich eitler Nachwuchsakademiker und ihrer Betrachterperspektive eines Lebens, das sie, sieht man einmal von ein paar Jazz-Platten und Gedichtbänden ab, langweilt und ermüdet. Auch die Sache mit dem „verführten und verlassenen Mädchen“ist zunächst nichts anderes als eine „moralische Nutzanwendung“.

Septembersong ist ein nachgereichtes Debüt, ein Erstlingswerk mit Kennermine, dessen spätes Erscheinen der Autor nostalgisch verortet. Er nennt es den zarten Vorläufer seines großen Romans Der Weg nach Oobliadooh. Ein Abschied von der Jugend und die keineswegs überzeugte Ankunft im realen Sozialismus: Im thematischen Anklang an das frühe Liedlein sollte dieser Roman, der 1966 bei Suhrkamp erschienen und in der DDR verboten war, den Ruf des Autors als einen der avanciertesten deutschsprachigen Erzähler begründen. Offiziell galt Fries damit als unbequem. Man warf ihm „üblen Nonkonformismus“vor und eröffnete einen „operativen Vorlauf“. Mit dem Ergebnis, daß Fries in die Dienste der Staatssicherheit eintrat.

„Wenn es wenigstens Leute von literarischem Format wären“: Als Fries 1996 enttarnt wird, reagiert er statt mit Auseinandersetzung mit Empörung. Er erklärt die Arbeit der Gauck-Behörde schlicht für eine Zumutung mangelhafter Bildung, die er erstens mit der Veröffentlichung seiner Tagebücher und zweitens mit der Rückbesinnung auf seine Jugend beantwortet. Als ob der gefallene Nonkonformist sein Werk nun endgültig bewappnen möchte. Im Nachwort zu Septembersong schreibt er jedenfalls von der „Unschuld des ersten Mals“, mit der sein künstlerischer Anfang vorwegnehme, was Jahre später literarisch wieder aufgenommen werden würde.

Die Geste soll's wohl richten.

Elisabeth Wagner

Fritz Rudolf Fries: „Septembersong“. Roman, Rospo Verlag, Hamburg 1997, 138 Seiten, 38 Mark

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen