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Neuer, alter Kurs

■ Die Gewerkschaften wollen wieder vor allem um mehr Lohn kämpfen

Das „Ende der Bescheidenheit“ kommt in der nächsten Lohnrunde, so Gewerkschaftschef Zwickel. Die IG Metall will sich wieder auf ihr „Kerngeschäft“ besinnen: das Aushandeln von möglichst hohen Löhnen. Nun ist die nächste Lohnrunde noch weit, und Zwickel liebt den klassenkämpferischen Gestus. Dennoch trifft die Botschaft die Stimmung in vielen Betrieben: Die Leute wollen nicht mehr hinnehmen, daß die realen Nettolöhne weiter sinken. Weniger Lohn für mehr Jobs? Das sacken doch nur die Unternehmer ein, so die Bilanz, die viele Arbeitnehmer ziehen. Es gibt ein massives Gerechtigkeitsproblem, und deshalb kann sich Zwickel einer breiten Gefolgschaft sicher sein.

Mit der Parole vom „Ende der Bescheidenheit“ will die Gewerkschaft für mehr Gerechtigkeit stehen – ebenso wie die SPD, deren Vorsitzender Lafontaine betont, eine moderate Lohnpolitik dürfe „nicht zum Dauerzustand“ werden. Die Frage ist nur, ob traditionelle Lohnkämpfe noch das Mittel, ob Gewerkschaftsvertreter und Arbeitgeber noch die Akteure sein können, gravierende Gerechtigkeitsprobleme zu entschärfen.

Zunächst einmal spricht einiges für Zwickel. Die Nettolöhne sind real gesunken, Konzerne vermelden hingegen hohe Gewinne, nachdem sie massiv Personal abgebaut haben. Die Hoffnung, daß Lohnverzicht neue Jobs schafft, bewahrheitete sich nicht. So weit hätte Zwickel recht mit einem neu aufgelegten Klassenkampf.

Aber heute ist nicht gestern. Es hat sich etwas verlagert, die Verteilungskämpfe spielen sich nicht mehr zuvorderst in den Tarifrunden ab. Zu viele Akteure sind inzwischen an den Gerechtigkeitsfragen beteiligt. Die Solidarsysteme fordern von den Arbeitnehmern hohe Versicherungsbeiträge, große Konzerne drücken die Erträge der kleinen Zulieferunternehmen, Betriebe scheren aus dem Tarifverbund aus, Arbeitslose wären froh auch über untertariflich bezahlte Jobs. Deswegen könnte Zwickel mit den angekündigten Lohnforderungen ohnehin nur eine kleine Teilgerechtigkeit herstellen. Schon möglich, daß die Gewerkschaften demnächst wieder ein Prozent mehr herausholen. Aber auch wahrscheinlich, daß Millionen nichts davon haben. Als politisch einflußreiche Gerechtigkeitskämpfer können sich die Gewerkschaften so nicht profilieren. Das ist auch Zwickels Dilemma. Barbara Dribbusch

Bericht Seite 5

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