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Von Bürostuhl zu Bürostuhl zu Bürostuhl

Aktionstag Zeitarbeit: Arbeitsamt ist begeistert vom Job ohne Arbeitsplatz  ■ Von Judith Weber

Die Freiheit trägt eine Krawatte. Dunkle Anzüge umgarnen weiße Hemden und deren Träger die Menschen vor den Infotischen. „Bei uns spielt das Alter der Bewerber keine Rolle“, schwärmt Adolf Welser, Mitarbeiter einer großen Zeitarbeitsfirma. „Wir stellen auch 45jährige ein, die normalerweise keine Aussichten auf einen Job mehr hätten.“Unbefristete Arbeitsverträge für alle, inklusive Sozialversicherung und Kündigungsschutz – und das, ohne jahrelang in dasselbe Büro zu gehen, wo dieselben KollegInnen immer gleichen dünnen Kaffee kochen.

150 Firmen arbeiten in Hamburg nach dem Prinzip „Jobs ohne Arbeitsplätze“. Sie vermitteln ihre Angestellten monats- oder wochenweise an Betriebe. Wenn zwischendurch beschäftigungslose Tage entstehen, zahlt die Firma trotzdem Lohn und Sozialleistungen. „Das ist ein fester Bestandteil des ersten Arbeitsmarktes“, weiß Ute Roloff, Leiterin des Arbeitsamtes Mitte. Sie hatte gestern 14 Betriebe zu einem „Aktionstag Zeitarbeit“eingeladen.

Zwischen 15.000 und 20.000 HamburgerInnen sind momentan bei Verleihbetrieben beschäftigt, ist zwischen Werbetafeln und Bonbons mit Firmenlogos zu erfahren. „Aber die Fluktuation ist hoch, und wir suchen immer neue Leute“, sagt Volker Enkerts, Norddeutschland-Sprecher des „Bundesverbandes Zeitarbeit“. Da kam die Einladung ins Behördenfoyer gelegen. Und überraschend, findet Firmenmitarbeiter Adolf Welser. „Vor fünf Jahren wären wir hier rausgeflogen.“Damals herrschte noch Skepsis gegenüber den Jobs ohne festen Arbeitsplatz, deren Idee Anfang der 60er Jahre aus den USA nach Deutschland geschwappt ist. Doch angesichts der Massenarbeitslosigkeit mag sich kaum mehr jemand gegen die AngestelltenvermittlerInnen aussprechen. „Zeitarbeit verhindert reguläre geschützte Verträge“, schimpfen lediglich die Gewerkschaften. Statt FacharbeiterInnen einzustellen, beschäftigten Firmen lieber Zeitkräfte. „Das ist Leiharbeit ohne Existenzsicherung“, sagt DGB-Mitarbeiter Burkhard von Seggern. „Sozial ist das überhaupt nicht gut.“

Finanziell auch nicht. ZeitarbeiterInnen verdienen meistens weniger als Festangestellte in ähnlichen Positionen. Einen Tarifvertrag gibt es nicht. „Trotzdem ist es besser, im Beruf zu bleiben, als ganz auszusteigen“, argumentiert Adolf Welser. „Auch wenn man ein paar Monate lang weniger verdient.“Viele ZeitarbeiterInnen würden von den Ausleiher-Betrieben übernommen.

Die BesucherInnen beim Aktionstag bleiben dennoch skeptisch. „Wenn ich sowas mache, kann es nur eine Übergangslösung sein“, sagt Heino Klagge, frisch umgeschulter und jobloser Industriekaufmann „Es ist ein komisches Gefühl, ständig mit neuen Leuten zusammenzuarbeiten. Aber als Arbeitsloser kann man heutzutage eben keine Forderungen stellen.“

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