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Jelzin - Klappe, die dritte

■ Der Kremlchef will nicht ausschließen, sich ein weiteres Mal um die russische Präsidentschaft zu bewerben. Die Verfassung, die ein drittes Mandat nicht vorsieht, soll ihn dabei nicht stören

Moskau (taz) – Einer dritten Amtsperiode Präsident Jelzins steht nach Auffassung seines Pressechefs, Sergej Jastrschemski, nichts im Wege. Gegenüber der belgischen Zeitung Le Soir sagte Jelzins Presseobmann: „Nach meinem Dafürhalten als Jurist lief die erste Amtszeit unter der Verfassung der UdSSR ab. Das bedeutet, daß das derzeitige Mandat das erste in Rußland ist.“

Das russische Grundgesetz, das im Dezember 1993 in einem Referendum angenommen wurde, sieht nach Artikel 81 indes keine dritte Kandidatur vor. Eine gewisse Einschränkung führt allerdings der kürzlich erschienene Kommentar zur Verfassung aus: Demnach ist nur eine dritte Kandidatur hintereinander ausgeschlossen. Mindestens eine Tour müßte der Präsident also aussetzen. Die Einschränkung wird damit begründet, daß sonst der Staat Gefahr liefe, einem autoritären System zu weichen.

Seit langem mutmaßen viele, Jelzin und seine Höflinge könnten sich auf jene Volte stützen, die sein Pressechef drei Jahre vor dem Wahlgang gestern zum ersten Mal öffentlich aussprach. Endgültig klären müßte die strittige Frage das Verfassungsgericht, das angesichts der in der Tat juristisch nicht eindeutigen Sachlage im Notfall die Rechtsauslegung der Kremlmannschaft bestätigen könnte.

Die Öffentlichkeit hat von dem gerissenen Jelzin eine ähnliche Aktion wohl erwartet. Jelzin geht es zur Zeit weniger um die Kandidatur als um den Beweis, daß er das Land fest im Griff hat. In den letzten Umfrageergebnissen konnte der sichtlich gestärkte und von Tatendrang beseelte Kremlchef vorsichtig wachsende Zustimmung verbuchen. Billigte im April nur jeder vierte Jelzins Politik, waren es im September immerhin 31 Prozent. Sein möglicher Gegenkandidat, der junge Boris Nemzow, sank auf – immer noch komfortable – 51 Prozent.

Anfang September hatte Jelzin vor Schülern noch großväterlich zu verstehen gegeben, daß das nächste Mal die Chance für einen jüngeren Anwärter gekommen sei. Beobachter leiteten daraus sogleich einen Verzicht ab. Letzte Woche schmunzelte der gleiche Jelzin in die Kamera: Über dieses Thema hätten ihm seine engsten Berater verboten zu reden. Nun haben sie es selbst getan. Wenn der Präsident bis ins Jahr 2000 die jetzige Form wahrt, wird es wohl ernst. Klaus-Helge Donath

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