piwik no script img

Frau allein im Ghost Center

Hinter der falschen Tür beginnt der Horrorfilm im verwaisten Luxusbürobau auf der Kehrwiederspitze. Wie sie ihn überlebte, erzählt  ■ Brigitte Neumann

So geht's manchmal im Leben: Man nimmt die falsche Tür und ist im Horrorfilm. Drehort: Hanseatic Trade Center. Das Luxusbüroprojekt auf der Kehrwiederspitze bietet die Location für diverse Journalistentermine: Zum Beispiel Friedrich Küppersbusch hat sich für einen Tag eingemietet, um seine CD vorzustellen; das ZDF läßt dort die Kultserie Girlfriends drehen.

Ich hatte mich eine Stunde am Set rumgedrückt, ein paar Aufnahmen gemacht und dann den Weg aus den Kulissen durch die Vorzimmer Licht, Maske und Garderobe nach draußen genommen. Die Tür fiel hinter mir ins Schloß. Der Aufzug kam und brachte mich zum Ausgang.

Erster Schreck: Die Tür nach draußen war abgeschlossen. Hinter mir die Glastür zu einem 400 Quadratmeter großen Luxusbüro war auch zu. Erster, zweiter, dritter Stock, ich fuhr überall hin, alle Glastüren ins Haus waren verrammelt, gaben nur einen trostlosen Ausblick auf verstaubten Estrich. Sonst noch: eine vergessene Socke, leere Flaschen, ein abgebrochener Hammer. Kein Mensch, nirgends.

Aber der Fahrstuhl funktionierte, und jeder Fahrstuhl hat einen Notruf. Ich drückte. Eine Roboterstimme reagierte: „Thyssentelekom ... Jaaah?“Letzteres war eine Frauenstimme. „Ich sitze im Haus Sandtorkai 73 fest.“„Ja, ich seh' Sie! Wenn der Aufzug nicht geht ...“„Doch, doch, das ist das einzige, was hier geh ...“„Knack“, Thyssentelekom hatte aufgelegt. Wenn der Aufzug noch geht, dann sind die nicht mehr zuständig.

Jetzt stieg der Blutdruck, auf dem Rücken bildete sich Schweiß. Journalisten haben eine geringe Lebenserwartung. So etwas über 60. Man muß ja nicht gleich im Krisengebiet von der Kugel getroffen werden. Vielleicht bin ich ja die erste meiner Zunft, die im leeren Hochhaus vertrocknet. Also los, nochmal Notruf: „ThyssentelekomThyssentelekom... Jaah?“„Bitte, Sie sind der einzige Mensch, zu dem ich Kontakt haben kann. Helfen Sie mir!“„Ja, ich schau mal, ob ich'n Handwerker kriege, der Ihnen aufmacht. KNACK.“Die blöde Kuh hatte schon wieder aufgelegt. Ich probierte was Neues aus: Raus aus dem engen Fahrstuhl und mit den Fäusten an die Scheiben hämmern, die zur Straße gucken. Kein Mensch sah mich.

Aus Angst, ich könnte eine Ansprache der Frau von Thyssentelekom verpassen, ging ich wieder in den Aufzug. Sie sagte nichts, aber mir fiel auf, daß ich einen Aufzugknopf noch nicht probiert hatte: Souterrain. Ich drückte. Wenig später hielt der Fahrstuhl. Die Tür öffnete sich ins Kohlrabenschwarze hinein. Ein Schritt vorwärts, und hinter mir schloß sich der Aufzug. Allein im Keller des Hanseatic Ghost Centers.

Nach einem kleinen Untersuchungsgang sah ich ein Licht in der Ferne. Immer darauf gefaßt, ins Bodenlose zu stürzen oder von wilden Hunden angefallen zu werden, tastete ich mich darauf zu. Es war das Fenster neben einer Tür. Die Tür war offen. Einfach offen. Ein Elektriker, der gerade Kabel zusammenrollte, guckte mich erstaunt an. Ich hätte ihn gerne geküßt.

Ein paar Tage nach meinem Hochhaushorrorerlebnis wollte ich mich bei Thyssentelekom für die zuvorkommende Behandlung bedanken. Der Schichtleiter hörte sich bißchen was an und... legte auf.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen