: „Es war eine rituelle Handlung wie Zähneputzen“
■ Staffel-Europameisterin Karen König wirft ihren ehemaligen Trainern Körperverletzung vor. Da diese bis heute keinerlei Einsicht gezeigt hätten, tritt sie nun im Dopingprozeß als Nebenklägerin auf
Karen König kam 1979 im Alter von 10 Jahren auf eine DDR-Sportschule. Ihren größten Erfolg als Schwimmerin hatte sie 1984 in Moskau: Mit der 4x100-Meter- Freistil-Staffel schwamm Karen König Weltrekord. 1985 wurde sie mit der Staffel zweifache Europameisterin. 1987 beendete sie ihre Karriere als Schwimmerin. Karen König ist heute 28 Jahre und studiert.
taz: Wie haben Sie erfahren, daß Sie gedopt waren?
Karen König: 1990 hatte unsere alte Trainingsgruppe mit dem ehemaligen Trainer ein Treffen. Wir haben geplaudert, und er sagte zu mir: „Fang doch wieder an mit dem Schwimmen, ich habe auch noch ein paar Blaue im Schrank.“
Wie haben Sie reagiert?
Ich war geschockt und habe gefragt: Wieso? Haben wir das auch gekriegt? Bis dahin dachte ich, das gebe es nur im Westen – so wurde uns das damals immer erzählt. Mir ist zum ersten Mal bewußt geworden, daß ich jahrelang gedopt wurde. Und zum ersten Mal habe ich mich gefragt: Wie naiv war ich eigentlich?
Haben Sie sich betrogen gefühlt?
In mein Tagebuch habe ich 1990 geschrieben: Diese Schweine haben uns das Zeug gegeben.
Die Trainer haben vorher nie ein Wort über Doping verloren?
Niemand hat darüber geredet. Es hieß immer, das sind Vitamintabletten. Das habe ich geglaubt, weil es so normal war. Es war eine rituelle Handlung wie Zähneputzen. Ich habe jeden Tag irgendwelche Tabletten geschluckt.
Haben die Trainer jemals mit Ihren Eltern geredet?
Meine Mutter wußte, daß ich diese Vitamintabletten regelmäßig bekomme. Ansonsten war es jedoch verboten, zu Hause über das Training zu sprechen. Die Trainingsmethoden wurden wie ein Staatsgeheimnis behandelt. Das Hauptziel war doch immer, besser zu sein als die Schwimmerinnen aus der Bundesrepublik.
Wie regelmäßig wurden Sie gedopt?
Die Tabletten wurden immer ein paar Wochen vor größeren Wettkämpfen verabreicht. Vor dem Wettkampf wurden sie dann wieder abgesetzt. Heute ist mir klar, daß das getan wurde, damit das Doping nicht nachweisbar war.
Welche Auswirkungen hatte das Doping bei Ihnen?
Ich bekam Gewichtsprobleme und Heißhunger, zum Teil aber auch Depressionen und mußte in Behandlung. Meine Stimme wurde tiefer. Ich weiß nicht, was an Folgeschäden noch kommt.
Aber hatten Sie sich damals denn nie über Ihre Erfolge gewundert?
Ich habe mich schon gewundert, daß ich in einem Jahr eine enorme Leistungssteigerung hatte. Über 100 Meter, wo man sich eigentlich nicht so stark verbessern kann, war ich plötzlich zwei Sekunden schneller. Aber ich habe gedacht, die Verbesserung sei auf das harte Training zurückzuführen.
Wurden alle Schwimmerinnen gedopt?
Alle im Kaderkreis – die Nationalmannschaft sowieso. Ich würde sagen: Alle erfolgreichen Schwimmerinnen waren gedopt.
Heute will kein Sportler darüber reden. Kristin Otto, zum Beispiel, streitet ab, daß sie gedopt wurde.
Sie kann sich angeblich nicht erinnern. Sie würde auch unglaubwürdig erscheinen, wenn ihr auf einmal einfiele, daß sie doch gedopt war.
Sie werden als Nebenklägerin im Dopingprozeß auftreten. Um was geht es Ihnen dabei?
Es war Körperverletzung, ich habe gegen meinen Willen die Tabletten bekommen. Ich will, daß diese Leute zur Verantwortung gezogen werden. Das Problem ist doch: Einige Trainer sind nach wie vor im Amt. Die haben anscheinend noch nie über ihre Fehler nachgedacht. Sie haben sich nicht geändert oder etwa Einsicht gezeigt. Im Gegenteil: Sie leugnen sogar alles.
Meinen Sie, daß die Trainer für ihren eigenen Ruhm gedopt haben?
Ja. Erfolge fielen auch auf sie zurück. Und Erfolge waren verbunden mit viel Geld. Die Trainer haben Prämien bekommen und durften ins Ausland reisen zu den Wettkämpfen. Sie waren privilegiert.
Haben Sie Ihre ehemaligen Trainer jemals wiedergesehen?
Nein. Darauf lege ich auch keinen Wert. Ich will die Leute nicht wiedersehen.
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