Letter from Shanghai: Die „Ein-China-Malerei“
■ Alles, alles, alles aus China zeigt das Liu Haisu Museum – mit wenigen Ausnahmen
Seit überall in der Stadt die Flagge der Sonderverwaltungszone Hongkong gehißt worden ist, wollen auch die Kulturinstitute in der ostentativen Freude über die Rückkehr Hongkongs ins Mutterland nicht zurückstehen. Pünktlich zur Übergabe eröffneten zwei Ausstellungen, deren Künstlerlisten deutlich machten, daß die Einheit des Mutterlandes ästhetisch markiert werden sollte. Die Ankündigung, daß Kunstwerke aus „ganz“ China, einschließlich Hongkongs, Macaos und Taiwans, die Räume des Liu Haisu Art Museum schmücken würden, illustriert die Ein- China-Politik der chinesischen Regierung, hier in Gestalt des Kulturministeriums, das die Ausstellung organisatorisch mitbetreut hatte.
Nun ist das Liu Haisu Art Museum, an der Hong Qiao Lu im Westen der Stadt gelegen, ohnehin ein interessanter Ort. Von der Straße aus ist zunächst schwer zu entscheiden, ob man es bei dem Neubau mit der verglasten Zeltdachkonstruktion eher mit einem Gartencenter oder einer ambitionierten Sportstätte zu tun hat. Drinnen ist neben den Ausstellungsräumen ein Antiquitätenhändler und ein Souvenirladen untergebracht. Im repräsentativen Treppenhaus geht es holzgetäfelt zu; die Ausstellungsräume hingegen lassen den Besucher sehnsuchtsvoll an die Perfektion des neuen Shanghai Museum in der Innenstadt denken.
Den Sammlungsbestand bildet der Nachlaß des Malers Liu Haisu (1896–1994), der 1912 die erste öffentliche Malschule Shanghais gründete und drei Jahre später die akademische Ausbildung durch die Einführung des Aktzeichnens revolutionierte. In den zwanziger Jahren reiste und lernte Liu in Europa, eine Erfahrung, die sich in seinem gesamten ×uvre abbildet. Soviel Kosmopolitismus machte Liu während der Kulturrevolution zu einem geeigneten Opfer der Rechtsabweichlerkampagnien; erst in den späten siebziger Jahren wurde er rehabilitiert. Heute präsentiert sein Museum stolz die durchaus unebenen Ergebnisse seiner Bemühungen um die Integration westlicher Malerei in China.
Der zweite Ausstellungsort, das Shanghai Art Museum, in einem bunkerähnlichen Gebäude an der Nanjing Lu untergebracht, offerierte Werke zeitgenössischer chinesischer Kunst aus eigenen Beständen, in Zusammenarbeit mit der Hongkonger Alisan Fine Arts Gallery. Die Bildauswahl beider Ausstellungen wirkte ebenso vielfältig wie qualitativ uneinheitlich und beschränkte sich jeweils auf die Öl- und Tuschmalerei.
So registrierte der Besucher im Shanghai Art Museum staunend Arbeiten des seit 1948 in Paris lebenden Zhao Wuji (in Europa als Zao Wou-ki bekannt) aus den fünfziger Jahren, die einen etwas ältlichen Hauch von Ecole de Paris ins Haus brachten. Die Rollbilder des 1975 in Hongkong verstorbenen Lu Shoukun, spannungsreiche Neuformulierungen traditioneller Tuschmalerei, sorgten für den visuellen Höhepunkt der Stirnseite des Ausstellungsraumes.
Seine Werke waren in Deutschland bereits zu sehen, genau wie die unerbittlichen Additionen von Kreuzen in Gitterrastern des jungen Shanghaier Malers Ding Yi.
Dominierte hier die gegenstandslose Kunst, so bot das Liu Haisu Museum auch Werke reinsten sozialistischen Realismus. So ist das spätimpressionistische Bildnis Deng Xiaopings im Kontext der momentanen Aufbereitung der nationalen Vergangenheit von besonderer Bedeutung: Chen Yiwu präsentiert ihn als Großvater im Gartenstuhl, ein Mädchen auf den Knien balancierend, im offenen Hemd und in den Stoffschuhen des verdienten Revolutionärs. Auch Mao trug am liebsten diese Fußbekleidung. Die Kolonialgeschichte Hongkongs erscheint in den Arbeiten der beiden Shanghaier Wang Xiangming, der einen „Morgen 1897“ beschwört, und Jiang Jianzhong, der das besiegte China und die triumphierende Kolonialmacht England bei der „Übergabe der Macht“ vorführt – Historienmalerei in pseudomoderner Aufbereitung.
Wie diese Beispiele entstanden sämtliche ausgestellten Werke mit einer Ausnahme in den neunziger Jahren, die Mehrzahl in den letzten drei Jahren. Die ganze bunte Vielfalt der Gattungen und Stile, alles kommt vor. Alles? Nicht ganz.
Ein wenig Hin- und Herblättern in den Katalogen der letzten Jahre erweist rasch die Abwesenheit der meisten jener Künstler, die durch internationale Ausstellungen inzwischen den Ruf einer chinesischen Avantgarde begründet haben.
Was hat man da also gesehen, an zwei Vormittagen im schwitzenden Shanghai? Siehe oben. Die Vielfalt der malerischen Positionen und Themen, die unterschiedlichen Wohnorte der Künstler signalisieren: Hier wird Offenheit praktiziert, hier herrscht Gemeinschaft chinesischer Kreativität über Länder- und Systemgrenzen hinweg. Mit Ausnahmen. Stephanie Tasch
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