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Chichi ist viel charmanter als Catherine

■ Wer am Hoxton Square ein Studio hat, frickelt in London an erster Adresse – so auch Benjamin Lefewre, der Pop-Produzent, der früher mal als Musiker mit den Stones auf Tour war

Als Hymne an die Princess of Wales hätte das auch gepaßt: „Never more than this“. Der Song wurde unlängst von Iain Forsyth und Jane Pollard in London im Hoxton Square Studio aufgenommen, ist nach allen Regeln der Popmusik hitverdächtig und sein Text die Hoxtoner Antwort auf die Trauerwochen.

„Passive aggressive“ ist ein anderer Song, den Benjamin Lefewre gerade in seinem Zwei-Zimmer- Musikstudio am Hoxton Market einspielt. Die junge Band, von der er stammt, heißt Kid Zero und kommt aus Hongkong. Genau zwei Wochen haben die vier 20jährigen Kids englischer Eltern Zeit, um die zwölf Stücke ihres importierten Britpops aufzunehmen – für die erste CD. Jetzt sind sechs Tage rum, und die Hälfte der Songs ist auf Band, doch die Feinarbeit geht erst richtig los. Immer wieder spult Benjie, so nennen alle den Producer (und er sich selbst auch), das Aufnahmeband auf 33:30 zurück, und x-mal muß James, der Songwriter, der dem stämmigen Benjie mit seinen asiatischen Maßen nichts entgegenzusetzen hat, zurück ins schalldichte Aufnahmestudio mit den schweren dunkelblauen Samtvorhängen und den dicken Orientteppichen. „The only what we do is looking on the title – ,Passive aggressive‘. Okay then, let's go“, hallt es durch das Tonstudio und zum Fenster raus.

„This is a sanctuary“, ein Heiligtum, sagt Benjie. Das, was draußen passiert, die königliche Familie, Lady Di oder Tony Blair sind ihm völlig egal. Die Royals sind nichts weiter als ein „big joke“, ein großer Witz, und Blair, der mache bloß ein gutes Gesicht im Ausland. Vor zwei Jahren hat sich der mittlerweile 47jährige, optisch eine Mischung aus ergrautem Raimund „Seewolf“ Harmstorf und Gérard „Greencard“ Depardieu, hier im Viertel rund um den Hoxton Square in einem der alten viergeschossigen Backsteinbauten niedergelassen – dort, wo um die Ecke im 18. Jahrhundert der Arzt und Geologe Parkinson lebte und heute im selben Haus Dancefloorspezialisten im Blue Note, Londons angesagtestem Club, ihre Körper zappeln lassen.

1995 ist Benjie vorerst ausgestiegen aus der Welt des großen Popbusiness. Genug hatte er vom Touren mit den Rolling Stones und – nach vielen Jahren – auch mit seinem Freund Robert Plant. „Ich könnte jetzt wieder mit den Stones auf ihre Welttour gehen, aber das hier mache ich lieber.“

Das spürt man. Wenn er nicht täglich ungefähr 15 Stunden barfuß, in Bermudajeans und T-Shirt im Studio verbringt, ist Benjie unterwegs, um neue Termine zu arrangieren. „The last one was fucking good man. You really fuck it“, lacht er jetzt brüllend ins Mikro Richtung James. Seit acht Stunden arbeiten sie jetzt an diesem Song, aber es ist nicht zu überhören, daß es sich gelohnt hat: der Stoff, aus dem auch Radiohead oder die Lemonheads gemacht sind – und irgendwie doch ganz anders. Nicht immer hat Benjie so einen guten Tag. Den meisten Umsatz macht er noch mit mittelmäßigen Bands, die sich einmieten, um Demobänder zu produzieren. Der Rest kommt durch Jazz- und Klassikaufnahmen rein.

„Gilbert und George – kennst du die zwei Künstler? – die waren auch mal einen Tag hier. Das war sehr artifiziell. Nur solche Worte wie fuck und shit haben die aufgenommen. Das war echt gewöhnungsbedürftig.“ Wenn Benjie von seinen Begegnungen mit den Künstlern des Viertels spricht, macht das den Eindruck, als ob er nicht wüßte, daß der Hoxton Square seit den wilden Sechzigern als Talentschmiede und Szeneabsteige unter Londons Künstlerinnen gehandelt wird. Wer hier einmal gelebt und geschaffen hat, hat gute Aussichten, in Art- oder Popville zu landen und ganz groß rauszukommen. Gilbert & George sind weltberühmt geworden, und wer den einmal im Sommer stattfindenden Live Stock Market, den sogenannten Viehmarkt der hier lebenden Künstlerinnen, auf der gegenüberliegenden Seite der Old Street besucht, erkennt noch den Ursprung ihrer Werke. Dort stemmen sich bis heute die letzten viktorianischen Häuser gegen die rundherum aus dem Boden schießenden verglasten Skyscrapers, und wer in diesem Jahr seine Pfund gegen Bulls eintauschte, konnte auf dem „mittelalterlichen“ Cowboymarkt seinen Kopf durch den Darmausgang einer Kuh stecken und sich fotografieren lassen.

Ein paar Meter weiter bot Catherine Yass ihr „boyfriend's ashole for sale“ an, und Cedric Christies Kuh durfte jeder mal melken. Gleich daneben wurden dazu passend „Ich liebe Milch“-T-Shirts und kalbsförmige Gummimultiples verkauft, und wem das alles stank, für den hielt Harland Miller 50.000 Kubikmilliliter Londoner Luft im Atmungsgerät bereit.

„Das hier ist Kunst. Hier kommen Leute her, die nichts mit Kunst am Hut haben, aber das hier verstehen sie.“ Da sitzt sie, Chichi, Transvestit aus Paris, mit ihrer theoretiva X-Akte auf einem aufgeblasenen, quietschorangenen Sessel, übereinandergeschlagenen Beinen, pechschwarzer Perücke und immer freundlich Auskunft gebend. Chichi ist so charmant, wie die deutsche Presse sich die Documenta-Chefin immer wünschte: „Catherine David ist eine verdammt intelligente Frau, und sie hat eine sehr gute Ausstellung gemacht, aber niemand wollte das honorieren... Fuck, warum hat sie das Ganze so schrecklich rübergebracht.“

Damit dürfte sie wohl recht haben, aber es gab ja auch Tage, an denen kein einziger Engländer einen Bull darauf verwettet hätte, daß Lady Diana Spencer in den Himmel kommt. Petra Welzel

Die besprochenen CDs sind zu beziehen über: Hoston Studios, Mus Recording Serv, Shaftesbury HO, Hoxton Mkt 13-14, London N1 3

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