: So rot wie ein Beet Klatschmohn
■ Immer wieder Rumänien: Herta Müllers fortgesetzte Rückschau auf die Zeit der Diktatur
Von verzweifelter Dumpfheit in der rumänischen Diktatur hat uns Herta Müller schon viel erzählt. Auch ihr neuer Roman spielt im Milieu der dortigen Deutschen. Die Ich-Erzählerin, eine junge Frau, die als Näherin in einem Konfektionsbetrieb arbeitet, hat in die Taschen von Herrenhosen, die nach Italien exportiert werden, Zettel mit der Aufschrift „Ti aspetto“ („Ich erwarte dich“) samt ihrer Adresse gesteckt. Mit dieser Methode haben sich schon viele Mädchen in jene besseren Länder verheiratet, in denen man die Kleider, die sie nähen, auch kaufen und tragen kann. Ein eifersüchtiger Vorgesetzer kam dahinter, schmuggelte, um sie zu belasten, ähnliche Zettel in Hosen, die für Schweden und Frankreich bestimmt waren. Das Mädchen wird nicht nur entlassen – in den immer wieder angesetzten Verhören des Majors Albu soll es in den Selbstmord getrieben werden.
Rumänien war damals ein Land, an dessen Grenze man auch erschossen wurde, wenn man zunächst nur nach Ungarn wollte. So wie die befreundete Kollegin Lilli, die dort durch Schüsse verwundet, dann von Hunden zerrissen wurde: „Unter ihren Schnauzen lag Lilli so rot wie ein ganzes Beet Klatschmohn.“ Wieder läßt Herta Müller ihre ausdrucksstarke, ständig die Perspektive wechselnde gestische Sprache vernehmen. Dazu gehört, daß es keinen Unterschied der Stränge von Haupt- und Nebenhandlungen gibt: Die auf einer Pflaume sitzende Wespenfamilie wird mit demselben Ernst und derselben Ausführlichkeit beschrieben wie irgendein Detail des Verhörs. Damit suggeriert Müller, daß es zwischen den eigentlich dramatischen Situationen und dem Elend des Alltags im Grunde keinen Leidensunterschied mehr gibt. Die, die resigniert haben und nicht mehr wegwollen, sind nur noch Schatten von Menschen: häßlich verkrümmt und charakterlos, leicht zu jedwedem Spitzeldienst zu gewinnen. Zwischen Männern und Frauen herrscht unsägliche Brutalität: überall Erpressung, Inzest, Nötigung, vergewaltigende Schwiegerväter. Das unappetitliche Chaos wird insofern noch verschärft, weil dazwischen immer noch Blitze von echtem Verlangen auftauchen: Die schöne Lilli ist scharf auf alte Männer, die Erzählerin beschreibt selbst immer wieder ihren Wunsch, mit „Tata“ zu schlafen, offensichtlich ihr Onkel, der aber eine „Langbezopfte“ aufgerissen hat. Dies Leben ist für die meisten – wie auch für den Ehemann Paul – nur erträglich, wenn viel Alkohol fließt. Wer ihn sich nicht kaufen kann, delektiert sich am „Schnapsgeruch der gärenden Abfälle“. Hier gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Vergangenheit und Zukunft, folglich kann auch die Erzählung nur ein ewiger Mahlstrom, eine Spirale abgebrühter Hoffnungslosigkeit sein: eine lakonische Satzmelodie ohne Frage- und Ausrufezeichen. Dennoch wird eine Botschaft vermittelt: Die Heldin wird dem Major Albu nicht gefügig sein, eher ist sie bereit unterzugehen.
Herta Müller hat sich neben ihrer Schriftstellerinnenexistenz einen Namen als Radikaldemokratin gemacht, als unbeirrte Verfechterin von Menschenrechten, insbesondere gegenüber diktatorischen Anmaßungen und Geheimdiensten jedweder Provenienz und in aller Welt. Das hier beschriebene Panoptikum der Unterentwicklung könnte auch den Namen vieler anderer Länder tragen. Materielle Misere in Kombination mit diktatorischem Ordnungswahn erzeugt heute weltweit Bilder ähnlicher menschlicher Regressionen.
Wird sich die Autorin auch in Zukunft immer nur an ihrem Geburts- und Jugendtrauma Rumänien abarbeiten? (Nostalgisch zu ertappen ist sie nur, wenn sie sich nicht versagen kann, das Hineinbeißen in rumänisches Obst zu beschreiben: eine Birne, Aprikosen, Kirschen.) Gäbe es aber nicht auch in ihrer neuen Heimat Deutschland – neben den zahlreichen Literaturpreisen, die ihr schon verliehen wurden – auch Beklemmendes und Beängstigendes zu beschreiben, das zwischen den hiesigen Mülltonnen und blitzenden Glasfassaden zu beobachten ist? Es wäre zu schade, wenn das außerordentliche Talent der Herta Müller mit der Zeit in den Verdacht käme, sich wie die Aktivitäten anderer Bürgerrechtler in den Konfrontationen der Vorwendezeit festzufahren und weiter nur die klaffenden Wunden zu beklagen, die die Diktaturen schlagen, nicht aber die Eiterbeulen zu sehen, die von den schleichenden Krankheiten der sogenannten Demokratien zeugen. Sabine Kebir
Herta Müller: „Heute wär ich mir am liebsten nicht begegnet“. Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 1997, 224 Seiten, 39,80DM
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