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"Originalität ist ein Ablenkungsmanöver"

■ Böhmische Blasmusik in Texas und Jodeln in den Rocky Mountains: Ein Werkstattgespräch mit dem Schriftseller, Musiker und Radiomoderator Thomas Meinecke über transatlantische Dialektik, über Schreib

Thomas Meinecke ist immer dort, wo man ihn nicht vermutet. In seinem letzten Roman, „The Church of John F. Kennedy“, bereiste er die USA – und schrieb doch über Deutschland. Wenn man ihn zum Literaten erklären will und mit Preisen behängt, sitzt er wahrscheinlich in einem Studio des Bayerischen Rundfunks und moderiert seinen legendären „Zündfunk“. Oder er nimmt mit seiner Band FSK, die Anfang der 80er Jahre als Freiwillige Selbstkontrolle gegründet wurde, eine Platte auf. Meinecke veröffentlichte 1986 den schrulligen Erzählband „Mit der Kirche ums Dorf“, in dem er über die „Neger in Immenstadt“ oder den „Charme der Wienerwald-Filialen“ schrieb. Das Buch ist vergriffen, aber der Suhrkamp Verlag hat angekündigt, einen Teil jener Texte zusammen mit neuen Geschichten unter dem schönen Titel „Mode und Verzweiflung“ neu aufzulegen. Zur Zeit arbeitet Meinecke, der in einem Dorf in Oberbayern lebt, an einem neuen Roman, in dem er Raubbau im Theoriegestrüpp des dekonstruktivistischen Feminismus betreibt. Vorarbeit dazu hatte er schon auf der letzten FSK-CD „International“ (1996) geleistet: „Warum kann dein Mann nicht lesbisch sein?“ textete er in „1+1=3“, und seine Interpretation von Marylin Monroes „She acts like a woman should“ ist eine hübsch verdrehte gender performance. Ganz im Sinne Judith Butlers. kol

taz: Dein Roman „The Church of John F. Kennedy spielt in den Vereinigten Staaten. Was bedeuten dir die USA?

Thomas Meinecke: Meine erste Assoziation zu den USA ist Musik. Als ich dort reiste, bekam ich durch die Musik Zugang zu den Menschen und Landschaften. Es gibt dort überall interessante ethnische, hybride Musikformen – Bastarde sozusagen. Das kann Cajun sein, Texmex, House-Music aus Harlem. Oder so ein ganz schrulliges Ding wie die böhmische Blasmusik in Texas. Die Stile sind nicht homogen und beanspruchen auch nicht, Soundtrack für eine bestimmte Identität zu sein. Sie setzen sich aus verschiedenen Quellen und Einflüssen zusammen, die eigentlich niemals dafür gedacht waren, zueinander zu finden. Mich fasziniert an den USA, daß dieses Land so zersplittert ist und nicht auf eine Identität festgelegt werden kann.

In Deutschland ist die Haltung gegenüber den USA immer auch ein Feld ideologischer Auseinandersetzungen. Wie hat sich deine Sicht auf dieses Land verändert?

Ich war über dreißig, als ich zum ersten Mal in die USA kam. Also gibt es eine ganz lange Zeit in meinem Leben, während der die USA nur als Bild existierten. Obwohl Amerika ja eigentlich immer eine Idee, eine Chimäre ist – selbst wenn man dort reist oder lebt. Mein Bild war anfänglich nicht unbedingt so eine Go-West-Vorstellung, auch nicht an Easy Rider oder ähnlichem orientiert, sondern eher: The Band, Mississippi-Dampfer, Walt Whitman. Und dann gab es natürlich noch dieses Anti-Amerika-Bild, das ich durch meine ganz normale linke Sozialisation auch hatte, was sich etwa darin ausdrückte, McDonald's boykottieren zu wollen.

Vor deinem Roman waren die USA schon für deine Band FSK Thema.

Wir haben mit FSK versucht, das Deutsche als Politisches über den Umweg Amerika zu formulieren, in den Texten und in der Musik. Wir spielten mit diesem produktiven Mißverständlichkeitsfaktor: daß man als Deutscher überhaupt Popmusik macht und damit auf anglo-amerikanische Formeln angewiesen ist, die man nie wirklich reproduzieren kann. Das geht bis in die Grammatik, daß man „in Liebe fällt“, zum Beispiel.

Diesen Umweg hast du auch für deinen Roman gewählt: Der Protagonist Wenzel Assmann denkt in seinen amerikanischen Nächten an Deutschland.

Die Idee war natürlich, über Deutschland zu schreiben. Aber eben über die gebrochene Sichtweise dessen, der aus einem anderen Land sieht, was in Deutschland passiert, und auch die USA selbst als eine Art Kadenz auf Europa begreift: eine transatlantische Dialektik. Die eben auch musikalisch gut funktioniert: sich nicht auf die direkte Umgebung zu verlassen, sondern mindestens eine Auswanderung dazwischenzuschalten, selbst wenn es eine innere ist. Sich also zum Beispiel das Jodeln nur aus den Rocky Mountains verkaufen zu lassen. Am Anfang hatte ich überlegt, ob man die Idee nationaler Identität nicht positiv greifen könnte, indem man Deutsche oder Böhmen in Texas aufsucht? Es ist natürlich gut, wenn einer seine nationale Identität nicht auf eigenem Boden und Blut definiert, sondern in der Fremde – da kann nicht soviel passieren. Schließlich habe ich aber die ganze Idee der nationalen Identität über Bord geworfen.

Dein Buch ist ein literarisches Roadmovie. Wohin geht die Reise, wenn der Weg in die Heimat blockiert ist?

Die „Church of John F. Kennedy“ ist kein traditionelles deutsch-amerikanisches Roadmovie á la Wim Wenders. Da ist es doch meistens so, daß man mit dem Rücken zu Deutschland gen Westen fährt und am Schluß an der Pazifikküste in Kalifornien herauskommt. Ich habe ganz bewußt die Gegenbewegung gewählt, mit dem Gesicht nach Osten. Die Reisebewegung bei mir geht ja von der Westküste über eine Südkurve nach New York, ohne daß Wenzel dort je ankäme. Ich versuche, eine Perspektive zu entwickeln: frontal zur Heimat. Obwohl ich niemals das Wort Heimat positiv fassen könnte. Das ist einer dieser Begriffe, den ich lieber den Falschen überlasse. Denn dann ist er eben ein falscher Begriff.

FSK hat sich vom Heimat-Diskurs verabschiedet, die Akkordeons zur Seite gelegt und unlängst eine 12-Inch auf einem Techno- Label veröffentlicht. Was macht der Schriftsteller Meinecke?

Ich begeistere mich gerade sehr für das Denken amerikanischer Feministinnen. Die fassen unter dem Aufkleber „gender studies“ das zusammen, was in Europa in den 70er und 80er Jahren von Theoretikern sehr disparat gedacht wurde. Vielleicht auf eine etwas populistische Art, aber ich lerne von Judith Butler mehr, als ich je von Luce Irigaray gelernt hätte beziehungweise lese ich sie erst jetzt. Der Texaner mit seinem Akkordeon interessiert mich dadurch nicht mehr so, sondern eher der schwule New Yorker.

Worum geht es in deinem neuen Buch, aus dem du in Klagenfurt einen Auszug gelesen hast?

Es geht um die Konstruktion sexueller Identität, weil ich das Gefühl habe, daß das vorderste Denken philosophischer Art im Moment bei den dekonstruktivistischen Feministinnen stattfindet. Da finde ich unglaubliche Anregungen. Allerdings nicht in dem Sinne, daß ich meine Figuren aus diesen Theorien entspringen lasse: Sie beschäftigen sich mit dem Stoff, auch wissenschaftlich. Die Theorie findet als Theorie statt.

Wo spielt das Ganze?

Irgendwo zwischen Ludwigshafen und dem Odenwald. Da steht die BASF mit ihren Kunststoffabrikationen, was ein schöner Topos ist. Kurz vor Heidelberg liegt das sogenannte Patrick- Henry-Village, das Hauptquartier der US-Army in Europa. Dann kommt Heidelberg selbst, das von Hölderlin bis Ginsberg besungen wurde. An der dortigen Universität wird verhandelt, was Judith Butler und Donna Haraway geschrieben haben. Außerdem steckt natürlich viel Geschichte in dem Buch: Das Army-Hauptquartier wurde ja einst von der RAF angegriffen. Auch die Geschichte der BASF, Erbin der IG Farben, wird erzählt. Dann kommt noch der Odenwald dazu, mit seinen pilzrauchenden, sich gegenseitig totkitzelnden Gnomen, die Nibelungen-Sage.

Du versteckst deine Theoriearbeit nicht. In der „Church of John F. Kennedy“ muß man beim Bild der „transatlantischen Luftwurzeln“ und bei der Art der Amerika-Charakteristik an Deleuze' Rhizome denken.

Nein, ich verstecke das nicht. Ich versuche eher, das Schreiben darauf zu begründen. In meinem nächsten Roman wird dieser Gedanke noch viel mehr im Vordergrund stehen. Ich möchte ausprobieren, wie sich Theorie erzählen läßt, um darauf zu kommen, was überhaupt in einem Buch erzählt werden kann. Das kann ja nicht immer wieder sein, wer wen umbringt, oder – was die Literaturkritik immer noch als zentral betrachtet – wer wen küßt oder eben auch nicht und warum. Es gibt soviel zu erzählen, was rein in der Entwicklung von Gedanken begraben liegt. Da versuche ich, einen Stil zu entwickeln.

Ich möchte nicht originell sein. Ich jongliere lieber mit acht Schubladen, die von anderen gefüllt wurden. Originalität, das wäre eine Beleidigung für mich. Ich bin in diesem Punkt 80er-Jahre-sozialisiert: Entsubjektiviertes Schreiben bedeutet mir immer noch sehr viel. Ich halte das für eine Errungenschaft, die es zu festigen gilt, gegenüber den vielen Autoren, die immer noch sehr von sich aus schreiben und in sich herumdoktern. Mir geht es schon noch darum, die Struktur dessen, was ich sehe, zu ergründen und bloßzulegen durch Collagen, durch das bewußte, nicht willkürliche Zusammenschneiden von Dingen, die eigentlich nicht zusammengehören. Originalität ist ein Ablenkungsmanöver.

Warum sucht Literatur stofflichen Halt bei den Theorien?

Man muß ja nur zehn oder zwanzig Jahre zurückgehen, um festzustellen, daß man heute Theorie wie damals Belletristik liest. Ich nehme mich da nicht aus: Ich kenne mich in der gegenwärtigen sogenannten „schönen Literatur“ gar nicht aus. Aber ich möchte unbedingt mitkriegen, was auf dem theoretischen Sektor verhandelt wird. Im Moment kommt es mir vor, als befänden wir uns in einer Art Gefechtspause. Als wolle man sich sammeln und überlegen: Worauf wollen wir eigentlich raus? Das geht einher mit dieser merkwürdigen politischen Lähmung momentan. Die politischen Verhältnisse sind doch weitaus schlimmer als zur Zeit der Notstandsgesetze, aber gleichzeitig läßt sich nicht handeln. Darum holt man sich sein Rüstzeug aus der Theorie. Interview: Kolja Mensing

Thomas Meinecke: „The Church of John F. Kennedy“. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 1996, 244 Seiten, 19.80 DM

Thomas Meinecke: „Mode und Verzweiflung“. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main, erscheint im März 1998

FSK: „International“, Sub-Up- Records (EFA 15548-2)

FSK: „Four Instrumentals (12), disko b (EFA 29461-6)

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