: Die Erotik der Gosse
■ Mit viel Dreck, Stil und Sex schütteln Penthouse den alten Rock'n'Roll auf
Sie sehen nicht so aus, als wenn sie die Assoziation zu dem Hochglanzmagazin gleichen Namens vermeiden wollten: weit aufgeknöpfte Hemden, fettige, halblange Haare, ausgeprägte Koteletten und vor allem Gesichtsausdrücke zwischen Gier, Langeweile und Irrsinn künden von stilvoller Triebhaftigkeit. Auch Gutter Erotica, der Name des Debut-Albums von Penthouse, zeugt davon, wie und wo sich die Band sieht. Dazu zeigt auf dem Cover – wahrscheinlich ein Kunstwerk des vorletzten Jahrhunderts – ein ansonsten weiblicher Transvestit dem entsetzten Teufel seinen erigierten Penis.
Wer weiß, was sonst noch an „gräßlichen Perversionen“(NME) zutage treten würde, wenn sich dem Nicht-Nordlondoner die Texte nicht verschließen würde? Von dem, was Sänger Charlie Finke in sein Mikrophon brüllt, keift und gurgelt, bleibt in den meisten Fällen nur ein verzerrtes Geräusch. Manchmal klingt es, als würde er, mit dem Kopf in einem entfernten Pissoir liegend, sterben. Solche Bilder wollen Penthouse und solche Bilder schaffen sie.
Ähnlich offensichtlich und erfolgreich kombinieren sie ihre Musik. Die ältesten Spuren in Bezug auf Struktur und Drama entstammen dabei von Led Zeppelin. Dazu gesellt sich gleichberechtigt „sleazynes“und Hüftschwung des einst zum Rock konvertierten britischen Quartetts The Cult.
Den offensichtlichsten Ansporn lieferten den jungen Männern allerdings zwei amerikanische Gruppen, die das hier vorzufindende musikalisch-ästhetische Bild in seinen Teilaspekten begründeten. Denn von wem sollte der gleichzeitig im- und explodierende Garagenblues kommen, wenn nicht vom hochgeschätzten Jon Spencer? Und worauf beziehen sich gehetzter Wahn und klirrende Gitarren, wenn nicht auf Jesus Lizard?
Derart haben sich die Engländer einen State-of-the-Art-Mix in Bezug auf Dreck, Stil und Rock'n' Roll geschüttelt und ihn mit drei Prisen Sex abgerundet. Wobei keine Anzeichen darauf hindeuten, daß Penthouse eine dezidiert sexistische Band wäre. Eher schon eine, die den schwitzig-körperlichen Aspekt ihrer Musik sorgfältig nach außen kehrt.
Holger in't Veld
Di, 21. Oktober, 21 Uhr, Molotow
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