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Bulgaren können ihre Stasi-Akten einsehen

■ Im Parlament soll die Liste der staatlichen Funktionäre verlesen werden, die als Informanten für die Staatssicherheit tätig waren. Geschätzte Zahl: 250.000 – bei neun Millionen Einwohnern

Berlin (taz) – Sieben Jahre lang blieben die Archive der ehemaligen bulgarischen Staatssicherheit verschlossen. Bei den bisherigen postkommunistischen Koalitionsregierungen, an denen zumeist die Exkommunisten beteiligt waren, stand das Thema Aktenöffnung nicht auf der Tagesordnung. Die neue Regierung der Union der Demokratischen Kräfte (SDS), seit Mitte Mai im Amt, hat das geändert: Nun können die Bulgaren ihre Stasi-Akten einsehen.

Das Gesetz zur Aktenöffnung wurde bereits Ende Juli verabschiedet und vom Staatspräsidenten Petar Stojanow Anfang August unterzeichnet. Abgeordnete des bulgarischen Parlaments, darunter Mitglieder der in Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) umbenannten Exkommunisten, hatten jedoch Klage gegen das Gesetz eingereicht. Dabei ging es ihnen nicht um die Aktenöffnung an sich, sondern um eine veränderte Regelung. Das Gesetz sieht nämlich vor, die Namen und Akten aller ehemaligen Spitzel zu veröffentlichen, die heute hohe Funktionen im öffentlichen Leben haben, etwa Minister, Abgeordnete und Richter. Dies, so die 52 Abgeordneten, die vor dem Verfassungsgericht Klage gegen das Gesetz eingereicht hatten, könne die nationale Sicherheit Bulgariens und das Funktionieren des staatlichen Lebens gefährden. Ende September wies das Verfassungsgericht die Klage ab; das Gesetz zur Aktenöffnung trat in Kraft. Eine Kommission unter Vorsitz des Innenministers Bogumil Bonew arbeitet zur Zeit daran, die Liste mit jenen staatlichen Funktionären fertigzustellen, die früher Spitzel der kommunistischen Geheimpolizei waren. Der Innenminister will sie in einigen Wochen persönlich im Parlament verlesen. Die Aufzählung könnte lang werden: Etwa 250.000 Informanten soll die bulgarische Staatssicherheit gehabt haben – bei neun Millionen Einwohnern.

Ende letzter Woche veröffentlichte die zweitgrößte Tageszeitung des Landes, das Blatt 24 Tschasa (24 Stunden) zumindest eine Statistik: Danach soll jeder fünfte Abgeordnete des bulgarischen Parlaments Stasi-Spitzel gewesen sein, genauer 48 von insgesamt 240 Abgeordneten. Bestätigt wurde der Bericht noch nicht; Innenminister Bonew gab aber am Wochenende bereits bekannt, daß der bulgarische Staatspräsident Petar Stojanow und Ministerpräsident Iwan Kostow nicht für die Staatssicherheit gearbeitet hätten. Zuvor hatten sie sich damit einverstanden erklärt, ihre Geheimdienstakten zu veröffentlichen.

Was passiert, wenn die vermutlich lange Liste der Spitzel vom Innenminister verlesen wird, ist unklar. Das Gesetz sieht nicht vor, daß ehemalige Denunzianten von ihren Ämtern zurücktreten müssen. Sie haben lediglich die Möglichkeit, freiwillig ihre Posten aufzugeben, mit der Konsequenz, daß dann ihr Name nicht verlesen und ihre Akte nicht publiziert wird.

Daß in den nächsten Wochen zahlreiche Politiker und Staatsbeamte zurücktreten, ist jedoch wenig wahrscheinlich. Denn bei den Bulgaren findet das Spitzel-Problem wenig Interesse. Seit Jahren kursieren in der Öffentlichkeit und in den Medien Gerüchte über die Stasi-Vergangenheit einzelner Politiker – ohne Untersuchungen und Konsequenzen. Nach dem Währungszusammenbruch und der schweren Wirtschaftskrise der letzten anderthalb Jahre, durch die viele Bulgaren drastisch verarmten, genießt das Thema für sie keine Priorität. Keno Verseck

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