Renate Graziadei und Arthur Stäldi tanzen einsames Duo: Bewegungen aus dem Reich der Tiere in der Kampnagelfabrik

Noch vor der ersten Stuhlreihe lümmelten sich die Zuschauer auf dem Boden, so voll war die Halle K4 am Mittwoch, als das Tänzer-Duo Renate Graziadei und Arthur Stäldi ihre Premiere Etwas über Tiere gab. Das Stück ist die erste Produktion nach dem Auseinanderbrechen der Gruppe COAX, die mit der Choreographin Rica Blunck in den letzten Jahren zur Hamburger Kult-Tanzgruppe avancierte. Bühnenbildner Nic Baginsky, der die Tänzerinnen früher mit seinem Bühnenbild scheuchte, mit den kriechenden Fußmatten-Robotern etwa oder der ewig sich drehenden Schranke, ist schon im vorigen Stück ausgestiegen.

Statt wilder Agitation mit dem Bühnenbild begnügen sich Stäldi und Graziadei diesmal mit einer Parkbank als einzigem zu betanzenden Objekt. Ihr Thema: Menschliche Einsamkeit, tierische Einsamkeit, und der Versuch, sich anzunähern.

Renate Graziadei verkörpert in ihrer experimentellen Bewegungskunst ein knochiges Insektenwesen. Am Boden liegend verdreht sie ihre Wirbelsäule in Zeitlupe, versucht, sich fortzubewegen mittels Kopf und Zehenspitzen – ein komplizierter Vorgang, der an eine Gottesanbeterin erinnert. Ihre Gliedmaßen liegen eng an den Körper geschmiegt, zeigen weibliches Verhalten im sparsamen Umgang mit dem Raum. Dann wieder ist sie kraftvoll und sprunghaft, greift weit aus mit ihren Gliedmaßen. Aber immer ist sie mit sich eins im Alleinsein, eine Frau für sich, ein Tier, das den Kontakt sucht, aber nicht mit allen Mitteln.

In einem Solo erkundet sie einen Käfig aus Licht-Quadraten: Neugierig, ruhig, konzentriert. Es ist eine Wohltat, der früher für den Frankfurter Choreographen Rui Horta tanzenden Graziadei zuzusehen: Ihre Bewegungen sind überaus differenziert, jeder Impuls ist in mehrere, sichtbare Segmente gegliedert, ihre Ausstrahlung ist fesselnd.

Der muskulöse Arthur Stäldi spielt den kraftvollen Begatter, dessen Rohheit sich die Insektin erwehrt. In einem wilden Duett zum wiederkehrenden Dur-Thema der in bedrohlichen Tiefen dröhnenden Geräusch-Musik schmeißt die Tänzerin den sich räkelnden Partner von der Bank, die lebensbedrohliche Energie der beiden mündet in einem tödlichen Biß in seinen Hals. Ungerührt rollt sie anschließend aus dem Raum, dahin, woher sie gekommen war.

Die minimalistische Klang-skulptur für dieses Experiment „über Tiere“ basiert auf einem nervenaufreibenden Rauschen, das mit Impulsen aus verzerrter Gitarre, Kalimba und Fernsehaufzeichnungen durchsetzt ist. Daniel Lüdke entwarf einen Spannungsbogen, der zwar die Ohrmuschel reizt, aber nicht reißt. Selbst wenn die Tänzerin auf der Bühne minutenlang nur mit dem Kopf wackelt wird die Szenerie nicht langweilig, dazu wirkt das gesamte Ambiente viel zu fremd.

Bedauernswert ist jedoch die Dramaturgie des Stückes. Zu oft wirkt der Mann als bloßes Beiwerk für die Frau, die hier eigentlich ein Solostück kreiert hat.

Gabriele Wittmann