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Wählt die Kunst!

■ Hamburger Kunsthalle erhält über 200 Werke

Ein Schnäppchen der besonderen Art ist der Hamburger Kunsthalle gelungen: 207 Werke von Künstlern der internationalen Bewegungen Nouveaux Réalistes und Fluxus aus der renommierten Sammlung Cremer geben einen Einblick in den Beginn der 60er Jahre und in den Reiz zeitgenossenschaftlichen Sammelns und Bekennens. Die Dauerleihgaben, die jetzt im Erdgeschoß der Kunsthalle plaziert sind, werden das Herzstück der 60er-Jahre-Abteilung im Ungers-Neubau bilden.

Die Namen der beteiligten Künstler lesen sich wie Legenden: Yves Klein, Mimmo Rotella, Daniel Spoerri für die Nouveaux Réalistes, Wolf Vostell für den Übergang zu Fluxus, und dann die Ahnenreihe der zweiten Moderne – Arthur Köpcke, Joseph Beuys, Robert Filiou, Nam June Paik, Dieter Roth und Bedeutende mehr.

Fluxus entzieht sich jeder Kategorisierung. Als internationale Kunstströmung „fließt“ dieser Objekt-gewordene Fluß durch den Versuch, die Distanz zwischen den Medien wie zwischen ästhetischen, realen und real-politischen Bereichen zu durchbrechen. Mit deutlichen Reminiszenzen an DaDa und Duchamp werden Witz und Homor, Ironie und Selbstironie in ihre gestalterische Notwendigkeit gesetzt. Das Szenisch-theatralische der prozeßhaften Handlungen, Gesten, Worte, Töne und benutzten Materialien sollte die entstandenen Ak-tions-Relikte dem bürgerlichen Rahmen in den Containern „Museum“ und „Galerie“ entziehen. Intuition ersetzt Regelwerk, Assoziieren wird basis-demokratisches Bewußtsein. Nicht Verbesserung, sondern Veränderung der gesellschaftlichen und damit künstlerischen Realität ist das Ziel: „Da Politik Kunst sein muß, darf die Kunst, die Politik sein will, sich nicht nur damit begnügen, politische Thematik direkt kritisch abzubilden, sondern muß höhere Organisationsformen des Menschen provozieren“ (Josef Beuys, 1970).

Der Nouveau Réalisme in Frankreich und die amerikanisch-europäische Fluxus-Basis hatten gemeinsame Ziele: zum einen die spätbürgerliche Lüge vom genialen, außerhalb der Gesellschaft stehenden Künstlerindividuum abzuschaffen. Zum anderen die gesamte Realität – auch die schmutzige, häßliche, gemeine – zum Material zu erklären und schließlich die Grenze zwischen Kunst und Leben aufzulösen.

Die Nouveaux Réalistes werden in diesem Prozeß zu Archäologen des Alltags. Der Italiener Mimmo Rotella etwa nahm das abgerissene und auf Leinwand neu arrangierte und geklebte Werbeplakat zum Ausgangspunkt seiner dramatischen Bild-Inszenierung.

Besonders hervorzuheben in Sammlung und Ausstellung ist die längst überfällige Würdigung von Arthur „Addi“ Köpcke. 1928 in Hamburg geboren, 1953 im Unmut auf Hamburg nach Kopenhagen übergesiedelt und eben dort 1977 gestorben, kann er als ein zentraler Ideen-Ventilator betrachtet werden. Anhand der Aktivitäten der Galerie Köpcke (Kopenhagen, 1962) ist der fließende Übergang vom Ausstellungs-Objekt zum Handlungsträger in der Aktion zwischen Künstlern und Betrachtern nachzuzeichnen. Die dänische Linie führt seit diesen Tagen der Performer, Komponist und Beuys-Intimus Henning Christiansen konsequent fort. Leider ist von Christiansen, dem derzeit aktivsten Fluxus-Menschen, keine Arbeit in der ansonsten hervorragenden Sammlung zu finden.

Befremdlich an der Ausstellung ist die Präsentationsform: Plexiglas-Rahmen und Sockel stecken diese bewußte Anti-Kunst-Bewegung in den alles gleichmachenden Container „Museumsraum“ und berauben die soziale, künstlerische und politische Bewegung ihrer innovativen Energie. Dabei hatte Henning Christansen doch gesagt: „Für mich bedeutet Fluxus Bewegung – immer alles neu anzusehen, damit nichts starr wird.“

Gunnar F. Gerlach

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