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Der Ritter mit der glühenden Feder

■ Walter Jens liest heute in Hamburg aus seinem neuen Essayband „Macht der Erinnerung“

Walter Jens ist ein Mann der Rede. Der gebürtige Hamburger hat die rhetorische Kunst zeitlebens mit spürbarer Lust und List praktiziert. Sein jetzt vorgelegter Essayband Macht der Erinnerung: Betrachtungen eines deutschen Europäers beginnt denn auch mit einem emphatischen „Lob des Gesprächs“: „Das Gespräch – eines der höchsten Güter in einer freien Gesellschaft, unverzichtbar, bedroht und verteidigenswert! Das Gespräch, dessen Finessen und Strukturen, verbale Tricks und Inszenierungen im Seminar für allgemeine Rhetorik durchexerziert wurden.“

Jens weiß, wovon er redet, schließlich hat er immerhin dreißig Jahre lang in Tübingen Rhetorik gelehrt und den einzigen bundesdeutschen Lehrstuhl für diese Disziplin innegehabt.

Beredt und belesen plädiert Walter Jens in Macht der Erinnerung nicht nur für eine aufmerksame, gelassene und vorurteilsfreie „demokratische Streitkultur“. Seine Reden aus den vergangenen fünf Jahren bezeugen darüber hinaus, was den Freigeist in dieser unruhigen Zeit umgetrieben hat.

Da ist einmal die Akademie der Künste in Berlin, deren durchaus umstrittener Präsident Jens in den entscheidenden Jahren seit 1989 bis vor kurzem war: Es sei „heute die wichtigste Aufgabe einer Akademie, der Politik in Zeiten extremer kultureller Gefährdung ihre Hilfe“anzubieten. Und da erinnert und preist Jens eine Vielzahl kreativer Persönlichkeiten, denen er sich verwandt fühlt – seien es Wolfgang Hildesheimer und Paul Hindemith, Carlo Schmidt und Hans Küng. Da ist zudem ein Memento an „Freiburg im Krieg“, wo der verwundete Jens 1944 die Bombardierung der Stadt erlebt und seine Erinnerungen daran sich mit dem Anblick der Zerstörung Hamburgs mischen: „Wo wohnen Sie? In Eppendorf? Beim Krankenhaus? Junge, da ist alles platt.“

Der Rhetor, Publizist, Schriftsteller und Übersetzer Jens hat sich stets als kritischer Mahner verstanden. Wie weit aber reicht die Macht der Rede? Dem Mitunterzeichner der „Erfurter Erklärung“sind seine politischen Einmischungen immer eine Selbstverständlichkeit gewesen, ein Lebenselixier. Und der, der Fontane, Lessing und Thomas Mann seine Hausheiligen nennt, kann schließlich mit dem alten Stechlin gelassen sagen: „Unanfechtbare Wahrheiten gibt es überhaupt nicht, und wenn es welche sind, so sind sie langweilig.“

Frauke Hamann

Heute abend um 20 Uhr liest Walter Jens in der Katholischen Akademie, Herrengraben 4, aus „Macht der Erinnerung: Betrachtungen eines deutschen Europäers“, Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf/Zürich 1997, 291 Seiten, 44 Mark

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