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Abschied vom Sozialstaat pur

■ Bremer SPD-Unterbezirks-Delegierte werden nicht warm mit der Abkehr vom Sozialstaat a la Schröder und Kröning

„Wir müssen uns vom Sozialstaat pur verabschieden“, das erklärte der Gastreferent Volker Kröning beim SPD-Unterbezirksparteitag in Bremen-Nord. Der Bremer SPD-Bundestagsabgeordnete setzte gleich noch eins drauf: Auch die SPD müsse das Motto ,Wirtschaft zuerst' zu ihrem Thema machen. „Schließlich kann der Staat nur das verteilen, was er zuvor eingenommen hat“, führte Kröning in Anlehnung an Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder aus. Mit dieser Devise stand Kröning im Bürgerhaus Vegesack allerdings ziemlich allein da. Dort referierte er am vergangenen Mittwoch vor 108 Delegierten des SPD-Unterbezirks Bremen-Nord die Kernthemen des SPD-Wahlprogramms 1998: Beschäftigungspolitik, Staatshaushalt, Steuer- und Rentenreform.

Vorrangige Aufgabe einer SPD-geführten Bundesregierung sei die Konsolidierung der Staatsfinanzen, erklärte Kröning. Dies könne nur durch eine Senkung der Staatsausgaben erfolgen. So strebe der SPD-Bundesparteivorstand die Senkung der Lohnnebenkosten sowie mehr Selbstverantwortung und -vorsorge der Bürger an. Die SPD müsse sich von einer reinen Nachfragepolitik verabschieden.

Ob dieses Vokabulars kamen einigen der Delegierten Zweifel am richtigen Ort der Partei-Veranstaltung. Entsprechend heftig fiel die Kritik in der anschließenden Diskussion aus. Beschäftigungspolitik dürfe nicht auf bloßes Wirtschaftswachstum setzen, so eine der Wortmeldungen. Mehr Beschäftigung ließe sich auch auf alternativen Wegen erreichen, etwa durch die Förderung neuer Umwelttechnologien. Wachstum müsse umweltverträglich sein. Das hatte Kröning auch gar nicht verworfen. Im Gegenteil: Den dringenden Bedarf wirtschaftlichen Wandels hin zu innovativen und ökologischen Technologien hatte er mehrfach angesprochen und betont, daß eine künftige SPD-Regierung die Ausgaben für Bildung, Wissenschaft und Forschung erhöht werde – so stehe es im SPD-Grundsatzpapier zur Finanz- und Wirtschaftspolitik.

Dort steht auch, daß die SPD für eine ökologische Steuerreform eintritt. Allein – die Delegierten schienen diese Broschüren nicht zu kennen. Das zeigte sich auch an der Frage von Bernd Hauke: „Wie sollen wir den Wählern Reformen und Abgabenkürzungen verkaufen, wenn bei beständig steigendem Bruttosozialprodukt die Einnahmen von Staat und Privathaushalten kontinuierlich sinken?“Dieses Mißverhältnis frustiere nicht nur die Bürger, sondern stelle die Finanzierung der Staatsausgaben generell in Frage. In dieselbe Kerbe hieb Jens Böhrnsen, Innenpolitiker aus Bremen-Nord, der mehr soziale Gerechtigkeit forderte.

In den bundesweit verteilten SPD-Schriften zur Steuer- und Rentenreform sei nachzulesen, konterte Kröning sichtlich aufgebracht, daß der SPD-Parteivorstand direkt nach der Wahl eine große Steuerreform anstrebe, mit der neben den Familien und Arbeitnehmern auch die Unternehmensgewinne, die in den Betrieb zurückfließen, steuerlich erheblich entlastet werden sollen. Dennoch sei die Schaffung einer effizienten Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft oberstes Ziel. „Wir müssen den ideologischen Graben verlassen“, so Kröning, „und uns vom „Sozialstaat pur verabschieden“.

Manuela Müller

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