Da lachte das Rund aber sehr

„Man muß positiv denken, immer positiv“: Europa-Champion Borussia Dortmund zeigt sich beim glücklichen Nullnull in Duisburg grundsätzlich abstiegsbereit  ■ Aus der Wedau Bernd Müllender

Das Vorher und das Nachher waren ziemlich ähnlich. Nämlich von tiefer Unwissenheit geprägt. In der S-Bahn hatten die MSV- Fans zuvor ziemlichen Bammel vor dem angeschlagenen Gegner: „Wenn dat maal guut geeht häute. Die wearn so wat von rainhaun...“ Schwarz-Gelbe hatten, nach vier Verlusten in Folge, derzeit vor allem und jedem Angst: „Ich glaub', dat wiad wieda nix...“ So lag dann ein besonders vorsichtig Neutraler mit einer Art FDP-Tip ganz gut: „Ich glaub' an vielleicht ein 2:2, oder so ähnlich, wer weiß...“

Nachher, mit dem Wissen um das recht ereignisarme 0:0, war dann das Ähnliche eingetreten, was BVB-Coach Nevio Scala prägnant ratlos zurückließ: Beim Abpfiff flogen freudig seine beiden Arme hoch, die aber augenblicklich in ein verächtliches Abwinken überglitten. Oder war das nur die Aufforderung zum unmittelbaren Auslaufen? Sollte Scala zufrieden sein mit dem Remis? Wußte er selbst nicht: „In unserer Situation hätten wir auch verlieren können. In unserer Situation ist eine Punkt nichts.“ Die Situation heißt Tabellenkeller immer tiefer.

Der Champions-League-Gewinner hatte gespielt wie ein Absteiger: Ängstlich, nur auf Ballsicherung bedacht. Einer war froher als der andere, wenn er den Ball wieder los war. Vorne: Nix, manchmal gar nix. Hinten: Dusel (Steffens Pfostenschuß schon nach zwei Minuten). Wie gut, daß der MSV nicht an seine Favoritenrolle glauben wollte. Rekordverdächtige 64 Prozent Ballbesitz für die Borussia, wie die Erbsenzähler von ran nachher quantifizierten, aber beinah bar jeder Torchance, jedes Torschusses. Beste Gelegenheit war ein höchst kurioser Eigentorversuch von Duisburgs Komljenovic, der sich selbst doppelt anschoß und dann den Ball noch von der Linie fegte.

Bei der Borussia fehlten nur Sousa, Sammer, Ricken und jedwede Spielkultur. Der BVB mit neun A-Nationalspielern im Team und im Jammertal – zeitweise wurden sie in der Wedau ausgelacht, und das zu Recht: Immer-noch- Berti-Mann Reuter wollte sich, sagte er vorher, „den Gegnern endlich entgegenstemmen“ und lief meist seinem guten Gegenspieler Hirsch hinterher. Extorschütze Chapuisat fand gar nicht erst statt, Exewigtalent Möller fehlpaßte fleißig und gab wieder mal den Altweinerlichen, Rekonvaleszent Julio César ist derzeit bar jeder Schnelligkeit. Nur Stefan Klos im Tor hielt tolle Sachen, umjubelt von den wenigen Dortmundern im Stadion. 3.000 Plätze in der Gästekurve waren freigeblieben – aus Angst vor neuer Schmach geht man lieber nicht zur Borussia derzeit.

Gottesdouble Jürgen Kohler, Neotorjäger der Nationalmannschaft, konnte seine Formschwäche mit Stellungs- und Abspielfehlern voll bestätigen und wurde zweimal sehr intensiv von César angebrüllt. Kurioserweise sprach Kohler nachher von Aufbruch, von Wende. Was Scala erfreute: „Gut, wenn Jürgen das gesagt hat. Man muß positiv denken, immer positiv.“ Was heißt im Walde pfeifen auf italienisch?

Aber das Negative muß man andenken dürfen. BVB-Manager Michael Meier hoffte vorher, „daß die Tabelle am Ende nicht Realität wird“. Da war der BVB noch sicherer 15. Nach dem Duisburger Dusel-Nullnull stehen sie auf einem Abstiegsplatz. Das Problem ist, daß sie solange nicht glauben da hinzugehören, bis sie nicht mehr wegkommen. Daß sie solange entsprechend spielen nach dem Motto: Wird schon wieder, pah, mit dem Potential. Entweder der BVB kommt da ganz schnell weg, oder es wird ganz schwer. Ein Ligagesetz heißt: Abstiegskampf muß man kennen, um ihn zu bestehen. Wahrscheinlich stimmt das sogar.

Auch die Historie heißt den BVB da unten willkommen: Einen umgehend absteigenden Vizemeister hatten wir schon (Alemannia Aachen), auch einen absteigenden Meister (Nürnberg), folgt im Mai ein Europachamp in der 2. Liga? Die nächsten Gegner: AC Parma, Ligaquerulant Rostock und dann sogar, im Pokal, bei Eintracht Trier, dem Regionalliga-Ersten.

Und der MSV? Vom Top-Team des Ruhrpotts war kaum die Rede, im Stadion nicht und bei den vielen TV-Berichten nachher noch weniger. Tabellarisch war der Favorit vorerst aus dem Uefa-Cup-Rängen gefallen. Wo er wegen programmatischer Unentschlossenheit im Angriff, mit dem ausgewiesenen Strafraum-Melancholiker Uwe Spies und dem trefferabstinenten Strafraum-Hooligan Salou, auch nicht unbedingt hingehört.

Auch im MSV-Umfeld fehlt es arg an europäischem Niveau. Hier ist Fußball noch niedlich-biedere Vereinskultur aus Epochen des Meidericher SV und nicht abgezockte Unterhaltungsindustrie: So fiel die schwülstige Aufforderung im Stadionheft auf, die Dortmunder mögen demnächst „unseren Kontinent im Weltpokalfinale würdig vertreten“. Und da waren diese kuriosen Ausspracheversuche des Stadionsprechers in der Halbzeit zu diversen Reisegewinnen nach Schee Aba (vermutlich: Djerba), zum Musical Lees Miser- Abbeles (Les Misérables) und nach Fu-Earte Van Turra („die sonnige Kana-areninsel“), die von keinerlei Fremdsprachenkenntnis getrübt waren. Da lachte das Rund aber sehr. Mögen die Gewinner ihren Bestimmungsort finden.

Borussia Dortmund: Klos – Feiersinger – César, Kohler – Reuter, Freund, Möller, Lambert (62. But), Heinrich – Herrlich (82. Booth), Chapuisat

Zuschauer: 27.000

MSV Duisburg: Gill – Emmerling – Wohlert, Komljenovic – Wolters, Steffen, Zeyer (87. Puschmann), Osthoff, Hirsch – Salou, Spies (70. Skoog)