Glück als unpassende Reaktion

■ Nicht zugeschaufelt: Im Schauspielhaus hatten Samuel Becketts „Glückliche Tage“Premiere

Gab es eigentlich 1961 schon Dale Carnegie mit seiner glücks- wie leistungsgierigen Religion des Positiven Denkens? Na egal. Jedenfalls lesen sich Becketts „Glückliche Tage“wie ein einziger langer, zäher Haßgesang auf alles Lebensschöndenken. Und Cornelia Kempers als Winni möchte man am liebsten allen freundlichkeitsbesessenen McDonalds-Filialleitern auf den Hals hetzen. Ihre wonnigliche Gesichtsmaske fällt beim kleinsten Moment der Unachtsamkeit zusammen wie ein überhitzter Hefeteig. Im frustrierten Fleischmatsch glüht ihr fröhliches Wangenrot nur noch wie ein schlechter Witz. Freundlichkeit wirkt wie eine turnerische Fehlbelastung der Wangenmuskulatur. Glück ist – wie bei allen Beckettstücken – eine unangemessene Reaktion auf jenes Einerlei, das sich Leben nennt. Vor allem aber ist es unsäglich albern. Wir müssen lachen, – und stellen fest, daß es genauso doof und stotternd klingt wie bei Winni, hihihi.

Der Lebensschmerz bläst die Welt Becketts nicht zu strindbergschem, tragischem Pathos auf, sondern schrumpft sie gnadenlos ein, stampft das Personal in Boden, Löcher, Gräben. Statt subtiler Andeutungen krasse Zeichen: Die Menschen sind hilflos; also klaut ihnen Beckett die Sinnesorgane. Ihre Lebenskreise sind beschränkt; also verpaßt ihnen Beckett Krücken. Winni vergräbt er sogar in Mutter Erde. Sehen kann sie auch nicht mehr so gut. Ihre Philosophie lautet „Naja“, ihr Interesse gilt dem Wort „Barchhaar“.

Leer werden von allem Leeren, von Beruf, Reputation, Zuhause, forderte Meister Eckhart. Dann bleibt nichts über, sagt Beckett, ein Kamm, ein bißchen Schminke, eine Lupe zu sinnlosen Entzifferungen und – am windigsten – ein bißchen Sprache.

Regisseur Joachim Lux schaufelt Becketts Leere nicht mit Gestaltungswillen zu. Die Bühne, eine Wüste, durchgestrichen von Linien ohne Fluchtpunkt; keine ausgesuchten Metaphern oder Verweise. Nur der Zug der Wolken über eine Filmleinwand erzählt von Veränderungen, die nichts bewegen. „Wehe dem, der Symbole sieht“, warnte Beckett am Beginn des Romans „Watt“. Lux gehorcht dieser Ermahnung.

So ist also im Bremer Schauspielhaus echtes Schauspielertheater zu sehen. Und es ist gut. Jedes dämliche Heben einer Augenbraue vor dumpfem Hirn wird für den Zuschauer zum Ereignis. Und Cornelia Kempers verdient und erträgt soviel geballte Aufmerksamkeit. Das Auge des Zuschauers büßt alle Weiträumigkeit ein und fokusierte sich auf Kempers Gesicht, genau so wie es das in einem Fußballstadion mit dem Ballatom zuwege bringen muß. Und Kempers stiert zurück durch ihre Lupe. Insekt Schauspieler und Kröte Zuschauer observieren sich gegenseitig. Der Zuschauer hat keine andere Wahl: Schließlich hört Christoph Finger alias Willie den Redseligkeiten seiner Gefährtin längst nicht mehr zu. Dafür bringt er auf pantomimischem Wege vergebliches Streben zum Ausdruck: für Beckettsche Lakonie vielleicht zu verzweifelt, zu wenig belustigend.

Weil Willie die Frau seines Lebens ignoriert, müssen die Bremer herhalten. Sie werden es mit Vergnügen tun. Sie werden glückliche Abende erleben. „Keine Verschlimmerung, keine Verbesserung, keine Veränderung, keine Schmerzen.“Streng genommen aber müßte man nach Beckett verstummen. Das tun wir jetzt auch.

Barbara Kern

Aufführungen am 27. Oktober und 3. November um 20 Uhr