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Beharrliche Vorliebe für das Bewährte

■ In Österreich fällt das öffentliche Medienmonopol nur langsam. Ab 1998 sollen Private senden - Gesetze gibt es noch nicht

Wenn in der kommenden Silvesternacht das Geläute der Pummerin im Stephansdom verklungen ist und im Hörfunkstudio des ORF der Donauwalzer aufgelegt wird, wird es im Äther eng. Ab 1.1.1998 dürfen in Österreich private Rundfunkunternehmen den Sendebetrieb aufnehmen. Knapp drei Monate vorher ist jedoch noch völlig unklar, wie der Staatsmonopolfunk ORF sich auf die neuen Zeiten einstellen wird.

Der österreichische Rundfunk ist eine streng nach politischem Proporz gegliederte Anstalt. Die in großer Koalition regierenden Traditionsparteien – die bürgerliche Österreichische Volkspartei (ÖVP) und die sozialdemokratische SPÖ – teilen seit der Nachkriegszeit einflußreiche Posten untereinander auf. Der politische Balanceakt bestimmte zwei Jahrzehnte lang sogar die Nachrichtensendungen: Für jeden Auftritt eines roten Politikers mußte der eines schwarzen Parteibonzen einprogrammiert werden und umgekehrt – selbst wenn dafür ein Anlaß erfunden werden mußte. Erst in den 60ern räumte ein Volksbegehren für eine Rundfunkreform mit diesem Unfug auf. Inzwischen ist durch das Erstarken der FPÖ unter Jörg Haider (der im Wahlkampf im Dezember 1995 – folgenlos – die Abschaffung des ORF gefordert hatte) und das Auftauchen der Grünen als vierte Kraft der institutionalisierte Postenschacher obsolet geworden. Auch ohne Privatisierung wäre ein neues Rundfunkgesetz überfällig.

Der Kampf um die Hörerquoten

Im Radio muß die eigens geschaffene Behörde in den kommenden Wochen über die Verteilung der 55 genehmigten Frequenzen auf mehr als 300 Bewerber entscheiden. Neben den großen Zeitungsunternehmern und den politischen Parteien, möchten auch die Kirche und diverse Bürgerinitiativen davon Gebrauch machen: Von Radio Stephansdom der Erzdiözese Wien und seinem innerkirchlichen Konkurrenten Radio Maria Austria über das Jörg Haider nahestehende Radio Total Lokal bis zu einer Station des Unabhängigen Frauenforums reicht die Palette der Antragsteller.

Fixstarter bei den Regionalsendern in Wien, wo sechs Frequenzen vergeben werden, sind das von der mächtigen Kronen-Zeitung lancierte Radio Eins, das von der alternativen Stadtzeitung Falter und dem deutschen Bertelsmann- Konzern initiierte K4 und die von den Herausgebern des Boulevard- Magazins News kreierte „Antenne Wien“, denen eine 1995 schon einmal erteilte Lizenz vom Verfassungsgerichtshof wieder entzogen worden war. Der Hörfunk, der mit seinem Klassik- und Kultursender Ö1, dem zeitgeistigen Pop-Kanal Ö3 und den Regionalsendern seine Klientel hat, blickt der Zukunft relativ gelassen entgegen. Ö3-Chef Bogdan Roscic, der im Zuge der Neuaufteilung der österreichischen Radioszene natürlich nicht die Hörerquote des Monopolbetriebs verteidigen kann, macht sich eher um die Konkurrenten Sorgen: „Es wird binnen kürzester Zeit eine sehr brutale Bereinigung des Marktes geben.“

Auch im TV werden die Neuen erst zeigen müssen, daß sie besser sind. Das Monopolunternehmen ORF hat der – per Kabel und Satelliten längst gut zugänglichen – ausländischen Konkurrenz durch einen auf seine beiden Kanäle aufgeteilten Cocktail bisher relativ gut standgehalten. Das österreichische Publikum zappt zwar gern, landet dann aber doch beim Bewährten. Neben der Massenware, die reichlich durch Dosenfutter aus den USA und Deutschland ergänzt wird, kommen auch immer wieder anspruchsvollere Eigenproduktionen zum Zug. Auch der seit Mai sendende Regionalkanal Wien1 hat kaum Klientel abgesaugt.

Anstalt öffentlichen Rechts oder AG?

In welcher Rechtsform der ORF die neue Situation meistern soll, ist währenddessen noch völlig unklar. Die von SPÖ und Generalintendant Gerhard Zeiler angestrebte Umwandlung des Staatsunternehmens in eine AG mit breiter Streuung der Aktien trifft auf erbitterten Widerstand der Landesfürsten des ÖVP. Salzburgs Landeshauptmann Franz Schausberger will der Transformation nur zustimmen, wenn die Anteile 50:50 auf Bund und Länder aufgeteilt werden. Die von 70 bis 84 Prozent des Publikums gesehenen Länderprogramme dienen den Landeshauptleuten als Tribüne für Eigenpropaganda. Viele halten es auch heute noch für selbstverständlich, daß ihre monatliche Ansprache live übertragen wird.

Nach einem Entwurf für ein neues Rundfunkgesetz des Handelsrechtlers Peter Doralt sollen die Aktien von der „Österreichischen Rundfunk-Anteilsverwaltung“, einer Anstalt öffentlichen Rechts, gehalten werden. Verkauf von Aktien an Dritte würde nur mit Dreiviertelmehrheit des Kuratoriums beschlossen werden können. Im Kuratorium sitzen neben sogenannten Unabhängigen die Repräsentanten der im Parlament vertretenen Parteien. Die Kontrolle der Parteien bliebe also letzten Endes erhalten.

Für die Grünen, so die Mediensprecherin der Fraktion, Teresija Stoisits, ist die Rechtsform unerheblich: „Wir hätten nichts gegen eine AG, wenn sie hilft, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf ein Standbein zu stellen, das ihn wettbewerbsfähig macht.“ Dazu gehören Strukturveränderungen wie größere Kompetenzen für den Generalintendanten. Im übrigen erwartet sie ein klares Bekenntnis zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der auch Platz für ethnische und soziale Minderheiten haben muß. Eine Reform müsse es dem ORF auch erlauben, in neuen Geschäftsfeldern, etwa dem Internet, aktiv zu werden. Beim ORF selbst hat man keine eigenen Reformmodelle, weil man mit einer Rundfunkgebühr von rund 50 Mark monatlich offenbar gut auskommt.

So wird die Reform wohl wieder einmal im Hinterstübchen von den Regierungsparteien ausgekocht. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas und ÖVP-Mediensprecher Wilhelm Molterer lassen über ihre Gespräche, zu denen sie sich alle paar Wochen treffen, jedenfalls so gut wie nichts verlauten. Und niemand weiß derzeit zu sagen, wann das neue Rundfunkgesetz kommt und wer sich überhaupt um Privatfernsehen bewirbt. Brennende Interessenten sind nicht bekannt. Ralf Leonhard

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