: Regierungsbündnis in Polen steht
■ Nach stundenlangen Diskussionen einigen sich Wahlaktion Solidarnosc und Freiheitsunion auf einen Koalitionsvertrag. Viele bekannte Gesichter und Politprominenz im neuen Kabinett
Warschau (taz) – „Der nächtliche Schliff an der Koalition“ titelte gestern die größte Tageszeitung Polens, Gazeta Wyborcza. Einen Monat nach den Parlamentswahlen haben sich die konservative Wahlaktion Solidarność (AWS) und die liberale Freiheitsunion (UW) auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Sonntag nacht um ein Uhr waren die Abgeordneten soweit. Stundenlang hatten sie sich die Köpfe heißgeredet über die Koalitionsvereinbarung, die Verteilung der Ressorts und den Einfluß der jeweiligen Koalitionspartner in der künftigen Regierung. Der neue Ministerpräsident Jerzy Buzck will bis kommenden Freitag das Kabinett vorstellen.
Die meisten Posten sind vergeben. Die AWS wird zehn, die UW sechs Minister stellen. Dabei hat sich die AWS das Schatz- und Wirtschaftsministerium sichern können, außerdem die Ressorts Inneres, Bildung, Gesundheit und Landwirtschaft. Bekannte Namen hat in erster Linie die UW zu bieten: Leszek Balcerowicz, der Vater der Wirtschaftsreform Polens Anfang der 90er Jahre, wird stellvertretender Ministerpräsident und Finanzminister. Bronislaw Geremek, bisher Vorsitzender der Sejmkommission für Auswärtiges, wird Außenminister, und Janusz Onyszkiewicz, Verteidigungsminister in der Regierung Suchocka, kehrt in den nächsten Tagen an seinen früheren Arbeitsplatz zurück. Schon jetzt ist absehbar, daß die neue Mitte-Rechts-Regierung einen völlig anderen Ton anschlagen wird als die bisher regierende Koalition aus Demokratischem Linksbündnis und Bauernpartei. „Patriotismus und Christentum“, so heißt es in der Präambel der Koalitionsvereinbarung, „sind die Wurzeln der polnischen Zivilisation.“ Ohne die Berufung auf diese Werte lasse sich kein modernes Polen schaffen. In dem Zehn- Punkte-Katalog listen die Koalitionspartner die wichtigsten Aufgaben für die nächste Zeit auf. Punkt eins lautet: „Hebung des allgemeinen Lebensstandards“. Die Familie soll mehr Rechte erhalten, die Konjunktur belebt und die Entwicklung in Stadt und Land vorangetrieben werden. Auch mit der Vergangenheit will sich die Koalition intensiv auseinandersetzen: Privatisierung, Reprivatisierung und „Lustracja“ (Durchleuchtung) lauten die Schlagworte: „Einige Prozesse wird es noch geben“, versichert die AWS. Keine Differenzen dürfte es um den letzten Punkt der Vereinbarung gegeben haben: „Die Mitgliedschaft Polens in Nato und EU“. Wenn Präsident Kwasniewski das Kabinett bestätigen sollte, gibt es noch eine Klippe zu überwinden: Binnen zweier Wochen müssen die Abgeordneten im Sejm der Regierung das Vertrauen aussprechen. Gabriele Lesser
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