: Kaum faßbare Selbstüberschätzung
■ betr.: „Wir waren so unheimlich konsequent...“, Interview mit Stefan Wisniewski, taz vom 11./12.10. 97
Was an heutigen Äußerungen der ehemaligen RAF-Leute immer wieder erstaunt, ist die hybride Verkennung ihrer geschichtlichen Position überhaupt und ihrer Verhandlungsposition im Herbst 1977 im besonderen.
Der wahnhafte Züge tragende Anspruch, in der Bundesrepublik mit den Mitteln einer Guerilla „die gesellschaftlichen Verhältnisse umwälzen und zum Tanzen zu bringen“, läßt sich wahrscheinlich nur durch eine Analyse der kollektiv-psychologischen Prozesse in einer weitgehend isoliert agierenden Kleingrupppe erklären. Die auch von Wisniewski in seinem Interview erwähnten Legitimationsversuche (Vietnamkrieg, Palästinenser, Nordiren, unaufgearbeitete Nazivergangenheit) können die in ihrer Maßlosigkeit kaum faßbare Selbstüberschätzung jedenfalls nicht erklären, mit der sich die RAF als Initiator und Vollstrecker einer revolutionären Umwälzung inszenierte, die so gar nicht auf der politischen Tagesordnung der BRD stand.
Denn selten in der deutschen Geschichte waren Staat und wirtschaftliche Verhältnisse von der Masse der Bevölkerung so unangefochten akzeptiert wie in den Jahren der Schmidt-Regierung. Dieser hohe Grad an Identifikation der „Volksmassen“ mit dem Staat war fatalerweise nicht zuletzt das Ergebnis einer nicht vermittelbaren Politik der linken Militanz.
Aber auch die Fokussierung auf die Befreiung der Stammheimgefangenen mittels der Schleyer-Entführung zeigt, wie naiv und unpolitisch die RAF bei aller Intelligenz und Effektivität im organisatorischen Vollzug der Aktion vorging. War es ihnen entgangen, daß sie es in Helmut Schmidt mit der personifizierten Staatsraison zu tun hatten? Hätten sie nicht wissen müssen, daß mit einer SPD-geführten Bundesregierung aus ihrer Position von vornherein nicht zu verhandeln war?
Denn sooft die SPD in Deutschland Gelegenheit hatte, „Staat zu machen“, schon von 1918 an, hatte sie sich in zugespitzten Situationen geradezu demonstrativ und mit besonders erbitterter Konsequenz als Verteidigerin (und Vollstreckerin) des staatlichen Gewaltmonopols geriert. Dies ist die Folge des SPD- Komplexes, das Bürgertum traue ihr aufgrund ihrer Herkunft aus der Arbeiterbewegung nicht zu, die zur Erhaltung der staatlichen Souveränität erforderlichen Grausamkeiten gegen politisch links von ihr stehende Akteure zu begehen.
Der „Bluthund“ Noske war schon in der Geburtsstunde der SPD als deutsche Regierungspartei die Personifizierung dieses Komplexes. Selbst der als liberal geltende Willy Brandt ließ sich aufgrund dieses Komplexes zu seiner unseligen Berufsverbotspolitik gegen die vergleichsweise harmlosen Hansel von der DKP verleiten.
Mit Helmut Schmidt traf die RAF auf eine SPD-Staatsmann, der sich geradezu schmerzhaft- lustvoll in die Rolle schickte, den unnachgiebig harten und notwendig grausamen Leviathan zu repräsentieren, aufgeladen mit dem Nimbus des Weltkrieg-II-Oberleutnants und des Hamburger Sturmflutbezwingers. Für diesen Mann konnten kein Arbeitgeberpräsident Schleyer und auch nicht die 80 Menschen in einem entführten Flugzeug im Hinblick auf die dem Staat abgeforderten Zugeständnisse eine äquivalente Verhandlungsmasse sein.
Tragisch ist, daß angesichts der enormen Kluft bei der RAF zwischen politisch-inhaltlicher Substanz einerseits und Militanz der Aktionsform andererseits die als Reaktion auf die RAF folgenden Opfer an Bürgerfreiheiten, Verteidigerrechten und strafrechtlicher Kultur im Umgang mit politischen Gegnern als besonders sinnlos erbracht erscheinen. Burkhard Peters, Hornbek
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