: Die Zukunft liegt links, und der Mittwoch ist blau Von Barbara Häusler
Stellen Sie sich vor, Sie sind eingeladen. Sie stehen mit ein paar Leuten wie immer in der Küche gleich neben dem Kühlschrank. Das Gespräch ist erlahmt (alle langweilen sich) oder in eine Ihnen nicht genehme Richtung abgedriftet (Sie langweilen sich). Die meisten Versuche, das zu ändern, scheitern entweder an ihrer Peinlichkeit oder verfehlen das allgemeine Interesse. Und doch gibt es eine todsichere Methode, mittels derer man selbst Maulfaule auf Stunden in angeregte Konversation verwickeln und unliebsame Diskussionen zuverlässig sprengen kann.
Ich bin auf diese Methode ganz zufällig während einer sehr unliebsamen Debatte über den Euro gestoßen. Einer, der mich schon die ganze Zeit wegen dieses Themenvorschlags und seiner Monologe geärgert hatte, behauptete, das alles habe „schon 1971 angefangen“ – und deutet dabei mit dem Daumen rechts hinter sich. „Wo liegt denn bei dir 1971?“ blaffte ich ihn an. Denn 1971 liegt eindeutig links, links neben mir. Das war's. Umgehend erläuterte er seine Zeitvorstellung: ein Laserstrahl, der weit hinten rechts (ca. zehn Meter) bei den alten Ägyptern in Dunkelgrün beginnt und nach vorne links, seine Backe streifend, bis ungefähr 2050 und ins Türkise schießt.
Das Auditorium war fassungslos, aber nur für einen Augenblick. Der Euro war vergessen. „So ein Quatsch“, schrie eine Frau, die bis dahin eher paralysiert gewirkt hatte, „2050 liegt genau vorne und ist weiß.“ Der nächste hatte die Jahrhunderte auf einer vor ihm aufgebauten Hochwasserlatte übereinander gestapelt, und ein weiterer hockte im oberen Drittel einer Spirale, Vergangenheit tief unten, Zukunft oben außen.
Je nach Komplexität des jeweiligen Vorstellungskosmos kann man mit einer durchschnittlichen Nettopräsentationszeit von 10 Minuten pro Person rechnen, zuzüglich Zwischenrufe und Kommentare werden es etwa 5 Minuten mehr. Bei nur vier Personen hat man damit schon eine Stunde rumgebracht beziehungsweise eine Stunde langweiliger Diskussionen über den Euro unterbunden. Meine Erfahrungen mit dieser Methode haben gezeigt, daß vier bis sechs Personen ideal sind, ab acht wird es einfach zu laut, weil sich alle so aufregen und durcheinanderschreien. Fragt man dann noch nach den Zahlen, der Woche und der Zukunft (Wo ist die Sieben/der Montag/übermorgen/das Jahr 2000, und wie sehen sie aus), ist schnell eine ganze Nacht gefüllt, die ob ihrer Kurzweil alle in guter Erinnerung behalten.
So habe ich beispielsweise noch keinen getroffen, der, wie ich, die Woche montags rechts beginnen läßt und die Zukunft nach links weiterdenkt, Vergangenheitsbetrachtung aber wieder von links nach rechts betreibt. Dafür gibt es Leute, die die Wochentage wie Eisenbahnbohlen vor sich liegen sehen (Montag rot, Mittwoch blau), die das Jahr 1970 so gerade noch in Griffnähe seitlich rechts haben, sich für weiter Zurückliegendes aber innerlich umdrehen müssen. Ich kenne jemanden, der angibt, das Jahr 1650 sei hellbraun und der nächste Monat läge etwas tiefer als der jetzige. Zahlen erscheinen den einen als herkunftsloser Flash gut 50 Zentimeter hoch vor Augen, andere haben Computerlisten im Kopf, die sie durchblättern müssen. Einfach unglaublich.
Morgen, also links von mir, bin ich wieder eingeladen.
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